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GEIST UND WELT

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Deprimierende Berichte über die Lage in Bulgarien häufen sich. Die politische Situation ist instabil, die Führungspersönlichkeiten wechseln, die Beamten mit ihnen, die erforderliche ruhige Basis für den Aufbau der Wirtschaft fehlt. Wo noch vor zwei Jahren Hoffnung auf eine günstige Entwicklung in der Zukunft geherrscht hat, muß der Realist heute von beunruhigenden und düsteren Verhältnissen sprechen. Streitigkeiten der Parteien, und innerhalb der Parteien zwischen einzelnen Persönlichkeiten, schaffen eine geradezu chaotische Phase.

Bei all dieser in Armut und Not führenden Fehlentwicklung ist aber die katastrophale Nachbarschaft nicht zu vergessen: denn ohne den fürchterlichen Krieg in Bosnien-Herzegowina wäre dieser Weg anders verlaufen. Der wichtige Markt des ehemaligen Jugoslawien ging verloren, und - noch schlimmer - durch die Kriegsereignisse trat eine Absperrung des Landes vom Westen ein. Diese wirtschaftliche Katastrophe verschärft wiederum alle politischen Spannungen und Probleme.

Die Depression in Bulgarien ist einer der furchtbarsten Folgeschäden des Krieges auf dem Balkan. Zwar hat die kluge und besonnene Außenpolitik des Landes trotz aller inneren Zerrissenheit eine scheinbare Ruhe bewahrt — doch die innenpolitischen Folgen sind umso schrecklicher. Vor allem die uninformierte Bevölkerung auf dem Lande (durch den Kommunismus gibt es keine Bauern mehr, sondern nur Landarbeiter) verspürt nur den wirtschaftlichen Abstieg und verlangt blind die früheren Verhältnisse zurück. Diese Haltung hat furchtbare Folgen.

Einen bescheidenen Lichtblick gibt es noch: die Kultur. Im Umkreis der zurückgetretenen Vizepräsidentin Bulgariens, der Schriftstellerin Blaga Dimitrova, sammeln sich Persönlichkeiten, die das alte System ablehnen, auf Demokratie, Reprivatisierung, freie Marktwirtschaft und gleichzeitig auf eine Entfaltung der Kultur hinarbeiten. Wie einst ist also wieder die Kultur ein Bereich von Hoffnung. Allerdings handelt es sich bei diesen Menschen keineswegs um eine Mehrheit. Werden sie sich durchsetzen? Es bedarf beinahe eines zweiten Wunders nach dem Zusammenbruch des alten Kommunismus: auch den neuen, besser maskierten Kommunismus zu überwinden.

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