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Steinzeitmenschen bauten Festung bei Poysdorf

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Lange Zeit waren zahlreiche Urgeschichtsforscher der Meinung, daß die Menschen der Jungsteinzeit keine Befestigungsanlagen kannten. Jetzt weiß man es besser: In den Wäldern zwischen Falkenstein und Poysdorf wurden Teile einer solchen Anlage ausgegraben. Als vor zwei Jahren ein Poys- dorfer Autohausbesitzer in den Wäldern südlich vor» Falkenstein einen verwachsenen Erdwall und bei genauer Untersuchung ein paar Tonscherben entdeckte, ahnte er noch nicht, daß dies den Anstoß zu einer archäologischen Grabung geben würde, die einige der bedeutendsten jungsteinzeitlichen Funde Österreichs zutage fördern sollte.

Der vom Bundesdenkmalamt entsandte Archäologe Dr. Wolfgang Neugebauer identifizierte den Wall als Befestigungsanlage aus der Kulturepoche der „bemalten Keramik” oder „Lengyel”-Kultur. Jetzt erst entsann man sich, daß die Anlage bereits 1931 in den „Fundberichten aus Österreich” erwähnt und auch schon einige archäologische Suchgrabungen durchgeführt worden waren. Allerdings konnte damit das Alter der Anlage nicht eindeutig bestimmt werden, und so gerieten diese Grabungen bald in Vergessenheit.

Dr. Neugebauer stieß nun auf zwei jungsteinzeitliche Befestigungsanlagen. Aus unbekannten Gründen wurde der Wall der älteren und größeren Anlage, die sogar ein hölzernes Tor besaß, einplaniert und an ihrem südöstlichen Ende ein neuer ovaler Ringwall mit einem inneren Durchmesser von 85 bis 125 Metern gebaut. Bei der jüngeren Anlage handelt es sich offensichtlich um eine unbewohnte Fluchtburg, denn Siedlungsspuren fehlen.

Bei den Grabungen kamen Unmengen von Tonscherben, ein paar Figuren, Steingeräte, Tonperlen sowie jene typischen Bodenverfärbungen zum Vorschein, wie sie Vorratsgruben und Holzhäuser aus dieser Zeit im Erdboden hinterlassen. Es ist die Kunst der Archäologen, nach Art des Tones oder der Oberflächenbehandlung der Tongefäße auf die verschiedenen Kulturepochen zu schließen, die sehr oft nach der Art der Keramik benannt wurden. Die Lengyel-Kultur wird deshalb als die Kultur der bemalten Keramik bezeichnet, weil die Tongefäße dieser Zeit nicht nur Ritzverzierungen besitzen, sondern auch in Rot, Gelb, Braun und mitunter in Schwarz und Weiß bemalt sind.

Bis jetzt wußte man über diese Kultur nicht allzuviel: Sie erstreckte sich in der Zeit von 4000 bis 3500 vor Christus über Südmähren, Nordungarn, das Nordburgenland, Niederösterreich und das östliche Oberösterreich. Die Menschen dieser Zeit waren einfache Bauern. Die Voraussetzung für Ackerbau und Viehzucht bildete der waldfeindliche Löß, der den Wildgräsern reiche Entfaltungsmöglichkeiten bot. Übrigens hat der Wald, der heute die Falkensteiner Anlage überwuchert, damals nicht bestanden.

Welche Tiere in der Lengyel-Kultur domestiziert waren, ist nach wie vor nicht ganz geklärt. Bei den jetzigen Ausgrabungen fand man zwar einen von einem Gefäßdeckel stammenden .Rinderkopf und eine Tonfigur, die ein Schwein darstellt, doch lediglich vom Rind und vom Hund kann man auf Grund früher gemachter Funde mit Sicherheit sagen, daß sie als Haustiere Verwendung fanden. Das von den jungsteinzeitlichen Falkensteinern dargestellte Schwein könnte auch ein Wildschwein darstellen.

Fest steht auch, daß die „paar hundert Leute”, die die Falkensteiner Siedlung bewohnten, wie Dr. Neugebauer die Bevölkerungszahl umschreibt, Handelsbeziehungen zu anderen Siedlungen unterhielten. Denn die zur-Herstellung der gefundenen Steinwerkzeuge und Obsidianklingen notwendigen Rohstoffe kommen in der Umgebung von Falkenstein nicht vor.

Ein paar hundert Leute, die von der Landwirtschaft lebten, Handelsbezie-

hungen Unterhielten und eine für die damalige Zeit imposante „Festung” errichteten, mußten jedoch auch eine bestimmte Gesellschaftsordnung und gemeinsame kultische Vorstellungen besitzen. Von letzterem zeugen diverse „Idolfiguren”, die schon von anderen Ausgrabungen her bekannt sind und auch in Falkenstein gefunden wurden: mehr oder weniger rundliche Frauenkörper, die auf einen Fruchtbarkeitskult schließen lassen. Ein solcher Kult jedoch, bei dem weibliche Idolfiguren im Mittelpunkt stehen, läßt vermuten, daß die Frau im damaligen gesellschaftlichen Leben eine besondere Rolle spielte.

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