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Raubscharen aus dem Norden zerstörten Mykenes Kultur

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Vor etwa 3200 Jahren flutete eine kriegerische Zerstörungswelle, von defeft Äusmaiä’wif-’ uns kaüin Vörstel- lungen rhabhen können, über fast den gesamten östlichen Mittelmeerraum. Alle Paläste des griechischen Festlandes gingen in Flammen auf, Siedlungen auf Kreta, auf Zypern und an der Levanteküste und auch Troja wurden damals zerstört. Innerhalb weniger Jahre wurden Hochkulturen vernichtet, von denen wir heute nur mehr spärliche Zeugnisse haben.

Wer die Verursacher dieses „Weltenbrandes” waren, woher dieses Volk oder diese Völker kamen, darüber rätseln Archäologen seit Jahrzehnten. Als „Seevölker-Katastrophe” wird die Vernichtungswelle bezeichnet, weil der ägyptische Pharao Ramses III. in einem Bericht von einer Koalition von Nord- und Seevölkern spricht, die er an den Grenzen seines Reiches vernichtend geschlagen habe.

Die auf diese Katastrophe folgenden Jahrhunderte nennt man die „dunklen Jahrhunderte”, weil so gut wie nichts aus ihnen überliefert ist, das Aufschluß über die Vorgänge geben könnte. Dieses Dunkel scheint nun überwunden zu sein. Der Schein einer Laterne leuchtet zumindest die Anfänge der dunklen Jahrhunderte aus.

In den Grabungen in Aigeira an der Südküste des korinthischen Golfes gegenüber von Delphi fand Univ.- Prof. Dr. Wilhelm Alzinger vom österreichischen Archäologischen Institut Keramik-Scherben und Fragmente, die mit den Resten der mykenischen Keramik, die dort heimisch ist, nichts zu tun haben. Es handelt sich um eine fremde Keramik, die in Griechenland nur zum Beginn des 12. Jahrhunderts vor Christus auftritt. Sie weist Parallelen zu balkanischen und unteritalienischen Kulturen auf, aber auch zum mitteldonauländischen Bereich der frühen Urnenfelderkultur.

‘ Funde dieser Art mehren sich jetzt in Griechenland. Sie sind nicht mehr nur auf Aigeira beschränkt, sondern tauchen auf dem ganzen Festland auf. „Das heißt aber nicht, daß man früher solche Keramik nicht gefunden hätte”, meint dazu Dr. Sigrid Jalkotzy von der Mykenischen Kommission der österreichischen Akademie der Wissenschaften. „Wir vermuten, daß solche Funde nicht beachtet worden sind. Man ordnet sie nicht richtig ein, weil sie im Vergleich zur bodenständigen Keramik primitiv wirken.”

Dr. Jalkotzy, nicht nur Archäologin, sondern auch Sprachwissenschafterin und Historikerin, kann nun auf Grund der österreichischen Funde und eigener Studien eine historische Interpretation dessen geben, was vor 3200 Jahren im östlichen Mittelmeer passiert ist.

Eine Hypothese ist in den letzten Jahren wieder aufgetaucht: Daß es Völker aus dem Westen und aus dem nördlich davon gelegenen Bereich der Urnenfelderkultur waren, die die Kulturen des Mittelmeerraums im Osten vernichteten. Einzelne Gruppen dürften sich zu Raubzügen zusammengeschlossen haben und folgten der gewohnten Straße der bestehenden Handelsbeziehungen zwischen der Ägäis und dem Donäu-Mittelmeer- Raum. Mit dem Schwächerwerden der mykenischen Kultur dürften diese Raubzüge immer frecher geworden sein. Es gibt archäologische Hinweise auf verschiedene kleinere Zerstörungen noch vor der großen Katastrophe. Mit den Erfolgen dürfte auch die Lust auf mehr Gewinn gestiegen sein, so lange, bis sich immer mehr Gruppen zu einer „Wanderlawine” zusammenschlossen, die in einem Vernichtungsfeldzug ohnegleichen - wie Raubameisen - den östlichen Mittel- meerraum überschwemmte.

Eine wesentliche Stütze dieser Hypothesen bilden sprachwissenschaftliche Analysen der „Linear B-Texte”, die, auf ungebackenem Ton geschrieben und nur durch einen vernichtenden Brand, der den Ton härtete, der Nachwelt überliefert, in den Überresten der mykenischen Paläste gefunden wurden. Jener selben mykenischen Paläste, die am Ende des 13. Jahrhunderts vor Christus vernichtet worden sind.

In diesen Texten fand Dr. Jalkotzy die Spur einer Kaste von Menschen, der „e-qe-ta”, deren Wesen der Wissenschaft bisher unbekannt gewesen ist. Diese „e-qe-ta” waren für Dr. Jalkotzy zunächst ein Rätsel. Durch Kulturvergleiche mit anderen indogermanischen Völkern, die einen ähnlichen Aufbau wie der mykenische Staat zeigten, löste sie dieses Rätsel: Die „e-qe-ta” waren Gefolgsleute des Königs, mykenische Vertreter des Gefolgschaftswesens, das sich wie eine archetypische Idee in fast allen Kulturen der Erde findet.

Wie bei einem Puzzle trug Dr. Jalkotzy in sprachwissenschaftlichen Analysen Indiz für Indiz zusammen. Bis sie jetzt ein einfgermaßen komplettes Bild dieser Kaste geben kann, die sich vor allem durch ihre enge, auf finanzielle Abhängigkeit begründete Beziehung zum König auszeichnet Durch diese Abhängigkeit waren die „e-qe-ta” für verschiedene, mitunter recht unangenehme Aufgaben ein- setzbar. Unter anderem - und hier schließt sich der Kreis zur „Seevölker-Katastrophe” - auch zum Aufbau einer Küstenwäche.

„Aus den Texten geht deutlich hervor, daß diese Gefolgsleute als verlängerter Arm des Königs eine Küstenwache gegen den Westen einsetzen sollten. Das bestätigt den Eindruck der Archäologen, daß noch vor der Zerstörung der mykenischen Paläste eine Reihe von kleineren Raubzügen durch fremde Völker stattgefunden haben muß - und zwar aus dem Westen”, faßt Dr. Jalkotzy zusammen.

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