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Scharlatan narrte Öffentlichkeit

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Vor einigen Wochen überraschte Prof. Licinio G1 o r i, Professor für Philosophie und Volkswirtschaft in Rom, die Presse mit der Mitteilung, es sei ihm eine totale Lösung des Etruskerproblems gelungen. Gelüftet .sei nicht nur der Schleier, der über Herkunft und Sprache dieses Volkes lag, sondern es sei auch der Weg frei geworden für eine „universale Geschichtsauffassung“, die in den Etruskern nicht nur die Stammväter der Mittelmeerkultur, sondern der europäischen Kultur überhaupt sähe; ja sogar die Kulturen der Mayas, der Inkas und der Azteken seien eine Schöpfung der Etrusker.

Als diese Nachricht in der Presse erschien, setzte ein Sturm von Anfragen auf das Institut für Etruskologie in Rom ein. „Wir haben eine esplosione atomica erlebt“, versicherte mir einige Tage später Prof. Pallottino, der führende italienische Etruskologe, gelegentlich seines Vortrages in Wien. Nicht nur das römische Institut, sondern auch die Fachleute im Ausland reagierten mit auffallender Einmütigkeit: es gab eine vollständige Ablehnung.

Diese Haltung der Fachleute fand Tadel von Seiten einiger Blätter (auch in Oesterreich), die Gloris Theorien darstellten und den Etrus-kologen den Vorwurf machten, daß sie schon jetzt, ehe noch das von Glori angekündigte Buch erschienen sei, seine Thesen in das Reich der Phantasie verwiesen. Es wird damit den Fachleuten vorgeworfen, daß sie unwissenschaftlich handeln — der gleiche Vorwurf, der von ihnen gegen Glori erhoben wird.

Niemand wird Glori ablehnen, weil er Außenseiter ist; die Wissenschaft weiß, daß sie auch die Außenseiter nicht entbehren kann — wenn diese ernsthaft und exakt arbeiten. Man denke nur an den englischen Architekten und Liebhaberarchäologen V e n t r i s, der auf geniale Weise die Inschriften der nun „my-kenisch“ genannten Linear B von Mykene und Pylos entzifferte und nachwies, daß es sich um urarchäisches Griechisch handle. Wenn aber Außenseiter offene Türen einrennen oder Phantasien auftischen, dann braucht die Fach-Welt nicht auf die „Beweise“ warten. “■'

War in dem äußerlich ähnlich gelagerten Fall der Atlantistheorie Spannuths noch eine Disputation möglich — die allerdings auch zur Ablehnung geführt hat —, so ist im Falle der Etruskertheorie Gloris das Disputieren von vornherein ausgeschlossen. Einige Gründe sollen kurz angeführt werden. Wenn es hieß, Glori hätte „bereits einige überraschend einleuchtende Erklärungen für etruskische Inschriften gegeben und insgesamt mehr als tausend Inschriften entziffert“, dann möge hier einfach festgestellt sein, daß das in den letzten fünfzig Jahren jeder Etruskologe getan hat. Es ist bestimmt nicht zuviel gesagt, wenn ich hier erkläre, daß mindestens die Hälfte der etwa 10.000 Inschriften des „Corpus Inscriptionum Etruscarum“ und der „Nuova raccolta“ von jedem Etruskologen übersetzt werden kann.

Wenn jemand sagt, „die Philologen wüßten nicht, ob die etruskische Sprache indogermanischen, semitischen oder sonstigen (!) Ursprungs sei“, dann stimmt auch das nicht. P. Kretschmer hat festgestellt, daß es schon zuviel sei, von einem indogermanischen Bau des Etruskischen zu sprechen. An einen semitischen Ursprung dieser Sprache hat man höchstens vor ein paar hundert Jahren gedacht. Diskutabel ist heute nur die Frage, ob das Etruskische ein Relikt des vorindogermanischen mittelmeerländischen Substrats ist oder ob es in einem Zusammenhang mit vorderasiatischen Sprachen steht.

Wenn Glori die Ursprungsheimat der Etrusker in der Gegend um das Kaspische Meer vermutet, dann sind ihm in dieser Meinung vor Jahren schon Brandenstein, Schachermeyr und Hrkal vorangegangen; daß sie sich von hier nach Kleinasien gewendet haben, meinen auch diese Forscher, ebenso Hrozny.

Für die Behauptung, daß die blonden und blauäugigen Germanen ihren Ursprung in den östlichen Mittelmeerländern hätten und einige semitische Stammväter aufwiesen, warten wir auf die Beweise. Hoffentlich erfahren wir nicht, daß die Philister oder gar die Hethiter diese Vorfahren seien I Ebenso sind wir gespannt, zu hören, welcher Art „die bekannten rätselhaften Parallelen der Sprachen mittel- und südamerikanischer Völker mit denen der Europäer“ sind. Hier wird wohl eine Art Atlantistheorie selige Urständ feiern!

Die rätischen Inschriften Südtirols zeigen allerdings enge Verwandtschaft mit dem Etruskischen; das beweist aber nicht, daß die Etrusker

aus dem Gebiet der Alpen kommen. Vielmehr liegt die Erklärung darin, daß es sich hier um ein degeneriertes Etruskisch handelt, das auf jene Etrusker zurückgeht, die durch den Keil des Kelteneinfalles aus der Poebene nach Norden abgedrängt wurden und sich mit den eingesessenen Rätern vermischten. Würde die „Alpentheorie“ stimmen, dann wären schließlich die tyrrhenischen Bewohner von Lemnos, deren Sprache engste Verwandtschaft mit dem Etruskischen zeigt, in die Aegäis verschlagene Etsch- oder Pustertaler gewesen! Es ist eine altbekannte Tatsache, daß die Römer die „disci-plina etrusca“ übernahmen, nebst vielem anderen (kurulische Abzeichen, Kalender, Begriff des „templum“, Städteplanung und anderes mehr); ebenso, daß die Toskana bis heute in vielem „etruskisch“ ist. Für all das erwarten wir von Glori keinen Beweis.

Falsch ist Gloris Darstellung der Theorie der Einwanderung aus dem Norden: die Träger der Hallstattkultur, die ihre Toten verbrannten und sich aus dem Alpengebiet in Italien verbreiteten, verdrängten nicht „in einer Uebergangszeit zwischen Bronzezeit und Eisenzeit“ jene italienischen Völker, die ihre Toten unverbrannt begruben“, sondern sind selber eben die „Italiker“ (Umbrer, Osker, Latiner usw.), die auf die Autochthonen stießen (Pallottino, Devoto), beziehungsweise auf die um etwa 800 v. Chr. aus Kleinasien eingewanderten Etrusker (Brizio, Montelius, Körte, Ducati, Schachermeyr).

Daß Romulus ein etruskischer Condottiere war, der unter König David diente und dann als Pirat an der Tibermündung landete und seiner neugegründeten Siedlung den Namen Roma gab, nach der hebräischen Bezeichnung (romah) für die Lanze, die er in den Boden stieß — das dürfte allerdings nicht nur den Etruskologen neu sein. Glori wird doch nicht den Romulus, der angeblich unter König David (1013 bis 973 v. Chr.) mit den Seevölkern — darunter den

„TrS . w“ (Turscha?) — in Verbindung bringen, die unter den Pharaonen Amenhotep und Ram-ses III., also zwischen 1230 und 1170, eine Invasion in Aegypten versuchten? Uebrigens glaubte man bisher mit Sicherheit, daß der Kern Roms schon vor der Zeit des sagenhaften Romulus auf dem Palatin existiert habe.

Eine vollkommen offene Tür rennt Glori mit der Feststellung ein, daß die Wörter auf den Toscanella-Würfeln Zahlen bezeichnen; wir kennen aber von ihnen nicht nur die drei Zahlen ci, huth und mach, wir kennen von den Würfeln auch die Zahlen zal, thu und sa. Wie allerdings Glori „mit diesen drei Zahlen als Grundlage die gesamte Zahlenreihe der Etrusker hat rekonstruieren können“, ist, rein mathematisch gesehen, ein Rätsel; es sei denn, daß er gegen alle Tatsachen behaupten will, die Etrusker hätten nur ein Dreiersystem gekannt. Wenn ihm schließlich „damit eine außerordentlich einleuchtende Uebersetzung der Inschriften des Grabsteines von Perusia (Cippus Perusinus) gelungen ist“, dann möge er in der etruskischen Fachliteratur nachlesen, wie viele Forscher schon vor ihm festgestellt haben, daß es sich hier um einen Pakt zwischen den Familien Velthina und Afuna über die Aufteilung von zwölf „naper“ (Grabnischen) handelt.

Man wird den Eindruck nicht los, daß die „sicheren“ Ergebnisse in Gloris These aus der jedermann zugänglichen Fachliteratur stammen, während das; was „neu“ ist, einfach unbeweisbare Phantasien und Behauptungen sind.

Es ist nicht so, wie Glori es darstellt, daß jeder Etruskologe seine eigene Theorie entwickelt; heute vertritt praktisch ein jeder von ihnen entweder die Autochthonentheorie oder die der Einwanderung aus dem Osten. So entgegengesetzt diese beiden Theorien scheinen, so sehr dürften sie aber in der letzten, tiefsten Wurzel verknüpft sein. Um da noch mehr sagen zu können, müssen wir erst mehr über f r ü h-elamitische und sumerische Sprache, über Mitanni und die Induskultur wissen; ein gewichtiges Wort wird auch die Turanistik mitzureden haben. Allmählich nur entschleiert sich die „unitä culturale indo-mediterranea“. Hier wird das Etruskische (dessen größtes Sprachdenkmal nicht der Cippus Perusinus, , sondern die. Agramer Mumienbinde ist) vielleicht noch eine große Rolle spielen. Allerdings anders, als Professor Glori meint.

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