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Etruskische Kunst

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Die Ausstellung „Kunst und Leben der Etrusker“, welche das Kunsthaus Zürich in diesem Frühjahr veranstaltete, hat eine Welt von Fragen aufgeworfen und eine neue Welt enthüllt. Ebenso dunkel wie Herkunft und Geschichte des Etruskervölkes waren auch Verlauf “und Entwicklung seiner Kunst. Lieber die ganze Welt verstreut sind die erlesenen Erzeugnisse einer kunstgeschichtlichen Epoche, die fortan zwischen die griechische und römische einzuordnen sein wird. Dort, irt den weiten Sälen des Züricher Kunsthauses, war dank der großzügigen Patronanz der Schweizer Bundesregierung und der Stadt Zürich so ziemlich alles versammelt, was an etruskischen Kunstdenkmälern überhaupt vorhanden ist, so daß sich für die Fachwelt wie für die kunstinteressierten Laien zum ersten Male eine vergleichende Ueberschau, ein annäherndes Gesamtbild ergab sowie die Möglichkeit, die großen Linien einer Entwicklung abzulesen. Rund 500 Werke der Groß-und Kleinplastik, der Malerei und Vasenkunst, der Keramik, des Kunstgewerbes in allen seinen Formen samt kostbarer Schmuckkunst in Gold, Silber und edlen Steinen, und vor allem die hier entscheidend wichtige Grabkunst, entfalteten ein Bild von imponierender Größe und faszinierender Eigenart.

Das Ergebnis für die Forschung und Kunstgeschichte ist sensationell und bestürzend zugleich, lieber die Herkunft der Etrusker existieren nicht weniger als drei Theorien: Die eine behauptet, sie seien aus Kleinasien eingewandert, die andere meint, sie seien aus dem Norden gekommen, für die dritte stellen sie die italische Urbevölkerung dar. Irgendwelche schriftliche Dokumente oder literarische Zeugnisse sind nicht vorhanden; das etruskische Alphabet ist zwar bekannt, die wenigen erhaltenen Inschriften sind jedoch nicht zu entziffern. Geschichtliche Denkmäler fehlen; was uns in der römischen Historiographie an Etruskischem begegnet, ist widerspruchsvoll genug. Rätsel um Rätsel. Aber auch die Entwicklung der etruskischen Kunst, die die Züricher Ausstellung zum ersten Male darzustellen versuchte, ist an Rätseln und Widersprüchen reich. Zwar ist es gelungen, die einzelnen Kunstwerke zu datieren und entstehungsmäßig in die Zeit zwischen dem 8. und dem 1. Jahrhundert v. Chr. einzuordnen. Das ist schon sehr viel. Aber der unlösbaren Fragen bleiben noch genug. Innerhalb unzweifelhaft datierter Entwicklungs- und Stilepochen tun sich unüberbrückbare stilistische Dissonanzen auf: Zur gleichen Zeit erscheint archaische Primitivität neben höchster Stilisierung, derbster Realismus neben surrealer Symbolik. Das Problem des Primitiven überhaupt wie das Verhältnis des Primitiven zum Klassischen stellt sich in diesen Kunstwerken ganz neu. Vieles klingt an Griechisch-Archaisches, an Kleinasiatisches oder Aegyptisches an — und differenziert, sich doch wieder sehr, stark davon.. Der Einfluß auf die römische Bildnisplastik freilich dürfte feststehen.

Die Etrusker waren ein Volk von Seefahrern, Händlern und Städtegründern, das große Reichtümer aufhäufte und üppig-luxuriös zu leben wußte. Etruskische Kunst im wahren Sinn ist nicht „große“, ist nicht Monumentalkunst, sondern eine Kunst höchst verfeinerter Lebenskultur, Kunsthandwerk, Kunstgewerbe, Gebrauchskunst von fast unvorstellbarer Grazie und Schönheit. Kein Wunder, daß gerade die „Schatzkammer.“ mit ihren phantasievollen; Ohrgehängen, Ringen, Halsketten und Diademen in purem Gold die meisten Bewunderer auf der Züricher Ausstellung fand. Wie sie selbst waren, so stellten sich die F-trusker auf den Deckeln ihrer“ Gfabmäler und Aschenurnen dar, realistisch-porträt' f getreu, würdevoll, feist 'und umgeben von den guten Dingen des Lebens, Speise, Trank, Frauen, die sie auch im Jenseits zu genießen gedachten, einem Jenseits, das eine reine Fortführung des Diesseits sein sollte.

„Wir sind im Grunde unfähig, diese etruskische Kunst zu verstehen, ja wir wissen nicht einmal wie sie eigentlich beschaffen und wo sie genau zu finden ist. Wir fühlen ihren Zauber; aber wir stehen vor ihr wie Kinder, denen der Geschmack dieser Früchte nicht beigebracht wurde, oder wie Musikliebhaber, die den Schlüssel zu einer ungewohnten Notenschrift nicht besitzen.“ So schreibt Professor Massimo Pallottino, das Haupt des Gelehrtenteams, das diese einzigartige Ausstellung vorbereitet und aufgebaut hatte, Sätze, die ein Stück Forschertragik enthalten. (Sie stehen in dem schönen Bildband „Etruskische Kunst“, den der Atlantis-Verlag, Zürich, soeben mit 126 meisterlichen Photos von Martin Hürlimann herausgebracht hat, eine Publikation, die die Rätselwelt etruskischer Kunst und Kultur gültig widerspiegelt.)

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