6667648-1960_43_14.jpg
Digital In Arbeit

Die bunten Bilder der Etrusker

Werbung
Werbung
Werbung

Das Gemüt der Etrusker war stark von Melancholie durchsetzt, schreibt Winckeimann, und ein solches Temperament erwirkt zu heftige Empfindungen und läßt daher die Sinne und den Geist nicht für das Schöne empfindlich werden. Nicht schön im klassischen Sinn — das war auch der Vorwurf, den man gegen die etruskische Kunst bis in unsere Zeit erhob. Es ist kein Zufall, daß man die Kunst der Etrusker erst schätzen lernte, als der modernen Kunst ihr Durchbruch in die weite Öffentlichkeit gelang.

Doch wer die Kunst der Etrusker in ihrem Wesen erfassen will, muß auch die etruskische Landschaft kennen: das Land zwischen Florenz und Rom und dem Tyrrhenischen Meer. Wer einmal durch diese scheinbar ebene Landschaft gewandert ist, in der sich jäheingerissene Canons bis zu hundert Meter Tiefe auftun, wird das Hintergründige in den Werken der Etrusker leichter verstehen. Die ganze Weltanschauung der Etrusker wird offenbar, wenn man auf einem verwachsenen Höhenrücken steht, der einst eine Stadt trug, und von dort ringsum die monumentalen Tempel- und Würfelgräber sieht, welche wie ein Ring diese Stadt umgeben und die Etrusker zu jeder Stunde des Tages an den Tod erinnerten. Wer die Landschaft Etruriens kennt, wird auch die etruskischen Wandmalereien nicht mehr ausschließlich als ästhetisches Kunsterlebnis betrachten.

Während die Grabmalereien von Tarquinia heute schon von vielen Reisenden besucht werden, ist es um die bunten Gräber von Chiusi noch immer recht still. Chiusi ist zwar eine Schnellzugsstation auf der Hauptstrecke Florenz—Rom, aber nur selten verläßt ein Fremder dort den Zug.

Eine halbe Stunde außerhalb von Chiusi, inmitten der wundervollen toskanischen Hügellandschaft, befindet sich die Tomba Casuccini. Diese wurde am 10. Mai 183 3 bei der Urbarmachung des Geländes entdeckt und stammt aus der Mitte des 5. Jahrhunderts vor Christi. Eine riesige schirmförmige Pinie steht genau ober ihrem Eingang. Dumpf grollend dreht sich die schwere Travertintür in den Angeln; sie ist noch die originale Grabtüre. Durch sie tritt man ein in den Vorraum des Grabes — und sofort ist man fasziniert von den bunten Bildern an den Wänden, welche ihre ursprüngliche Leuchtkraft bis auf den heutigen Tag bewahrt haben.

Diese Bilder stellen alles dar. was das Leben der Etrusker schön gemacht hat: lünglinge beim Gelage, Flötenspieler, tanzende Mädchen, Ringkämpfer, Wagenrennen. Im zweiten Raum, in der eigentlichen Grabkammer, finde! sich dann nur mehr ein Thema: schattenhafte Geister im Garten der Seligen. Es scheint, als sei die Anlage des Grabes so gedacht gewesen, daß sich die Toten von den Lebenden im Vorraum verabschiedeten, indem sie sich noch einmal gemeinsam an all das erinnerten, was das Leben schön gemacht hat, bevor sie sich in das Reich der Schatten zurückzogen. Aber so haben auch die Römer die Etrusker gesehen: als Menschen, die in die Genüsse des Lebens verliebt waren — und die Römer haben daher auch dieses Volk die „verfressenen Etrusker“ genannt.

Doch je mehr sich die moderne Wissenschaft mit den Etruskern befaßt, desto mehr lernt man es, „hinter“ diese Bilder zu schauen. Bei solcher Betrachtung entdeckt man auch das Hintergründige dieser scheinbar heiteren Szenen.

Ein Gelage soll nicht eine irdische Festlichkeit darstellen, sondern erklärt sich aus der Religion der Etrusker. In der etruskischen Religion gab es keine ewige Verdammnis. Es gab aber auch keine Seele, welche sofort für das Paradies reif war. Jede Seele kam vorerst einmal in ein Zwischenreich. Das Zwischenreich der Bösen bestand aus Qualen, die etwa Dante, ein später Nachkomme der Etrusker, dann sehr ausführlich beschrieben hat. Das Zwischenreich der Guten war schön und angenehm Die Angehörigen, welche ihren Toten selbstverständlich in das Zwischenreich der Guten versetzt haben wollten, wußten dafür kein besseres Symbol als ein festliches Gelage.

Die Etrusker fühlten sich stets dem Schicksal ausgeliefert. Am augenfälligsten spricht das Schicksal, wenn sich zwei gleichwertige Gegner in einem Wettkampf gegenüberstehen. Das führte nicht nur zu den Leichenspielen (aus denen dann bei den Römern die Gladiatorenkämpfe wurden), sondern auch zu den vielen Kampfdarstellungen in den Gräbern.

Platon vergleicht die Seele eines Menschen mit einem Pferdegespann, von dem das eine Pferd, durfel fiffiifwiW, ztir'Efde ziehfwährend -das andere, hell und gutartig, zum Himmel emporsteigen will. Pferdegespanndarstellungen finden sich wohl auch schon in Etruskergräbern vor Piatons Zeit, aber man kann ohne weiteres annehmen, daß Platon auch schon vorhandene Begriffsvorstellungen ausgesprochen hat. Die Tomba Casuccini zeigt tatsächlich Pferdegespanne, von denen das eine Pferd rot und das andere schwarz ist.

Ein rotes Pferd? Bei den alten Völkern war das Lichtempfinden noch stärker als der Farbensinn. Und die Etrusker waren ein altes Volk! Man kennt noch immer nicht ihr Herkommen, aber man weiß, daß sie ein altes Volk waren. Rings um sie standen die neuen Völker der indogermanischen Wanderung; die Etrusker konnten von diesen neuen Völkern (zum Beispiel von den Griechen) Anregungen empfangen - aber in ihrem Wesen blieben sie umgewandelt. Für sie war die rote Farbe noch immer gleichbedeutend mit hell, und Blau oder Grün waren gleichbedeutend mit dunkel. Die Welt der alten Völker war noch arm an Farben dafür war sie reicher an innerem Schauen. *

Der etruskische Maler begann seine Arbeit, indem er auf die geglättete Felsenwand des Grabes einen dünnen Maluntergrund aus Kalk auftrug. Darin ritzte er seine Vorzeichnung ein, die er dann mit Farbe ausfüllte. Am meisten fasziniert uns Heutige die Sicherheit des Striches. Man beachte auf unserer Abbildung wie hier in wenigen Zügen die Umrisse schlanker Tänzerinnenbeine wiedergegeben sind, welche durch ein spinnwebendünnes Gewand durchscheinen. Hier ist kein Strich zuviel. Der Künstler ist sparsam damit, weil er dessen Wert (und Schwierigkeit) kennt. Man erinnert sich an jene Anekdote, in der ein erfahrener Autor einem Anfänger rät, seine Werke so auf Knappheit zu prüfen, als müßte er sie als Telegramm — mit Wortgebühr — aufgeben.

Und der Querstrich am linken Ellbogengelenk der Tänzerin? Wir müssen zugeben, daß dieser Strich das Abgewinkeltsein der Arme noch stärker betont. Tatsächlich spielt im etruskischen Tanz die Gestik eine bedeutende Rolle. Von diesen pantomimischen Tänzen wissen wir nichts

— außer, daß ein etruskischer Tänzer einmal wegen einiger falscher Bewegungen vom empörten Publikum gesteinigt wurde. Man kann diese Pantomimen am ehesten mit den Stierkämpfen vergleichen, bei denen auch jeder Schritt und jede Bewegung des Matadors traditionsgebunden und nur dem Eingeweihten verständlich sind. Jedenfalls verstärkte deT etruskische Künstler mit diesem Querstrich den Ausdruck der Tänzerin. Expressionismus! Wir wiederholen: Es ist kein Zufall, daß man auch die Kunst der Etrusker schätzen lernte, als die moderne Kunst ihren Durchbruch in die weite Öffentlichkeit vollzog.

Es ist bekannt, daß schon Michelangelo von 'den Malereien der Etrusker Anregungen empfangen hat. Doch die meisten Entdeckungen von Etruskergräbern gelangen im 18. Jahrhundert. Manche von diesen Entdeckungen gingen recht dramatisch vor sich: man öffnete ein Grab und sah in dessen Inneren einen Krieger mit Brustschild und Harnisch auf seinem Totenbett liegen

— dies aber nur für Sekunden — dann löste sich der Körper in der eingeströmten Luft in Staub auf

Es gibt heute noch viele tausende ungeöffnete Etruskergräber. Doch die Mühe, diese auszugraben und zu öffnen, lohnt sich nur, wenn man auch weiß, daß diese Gräber wertvolle Beigaben oder Wandmalereien enthalten. Gräber mit Wandmalereien hat man bisher nur an wenigen Orten gefunden. Das Reich der Etrusker war kein einheitliches Reich, sondern war gegliedert in Stadtkönigreiehe. Und jedes einzelne Stadtkönigreich hatte seine eigene Bestattungsmethode. In Cerveteri hat man die Toten in richtigen Totenhäusern bestattet — im etwa fünfzig Kilometer entfernten Tarquinia gab es die bemalten Kammern.

Jetzt hat eine neue Grabungsmethode den suchenden Spaten verdrängt. Mit Spezialgeräten stellt man die Lage eines Grabes fest. Sodann bohrt man in die Tiefe und photo-graphiert durch ein hinabgelassenes Periskop das Innere des Grabes. Erst wenn es sich herausgestellt hat, daß das Innere interessante Beigaben oder Wandmalereien enthält, öffnet man dieses Grab Mit dieser Methode hat man allein in Tarquinia innerhalb von eineinhalb Jahren achthundertfünfzig Gräber untersucht. Darunter war auch das vor kurzem entdeckte „Grab der Olympiade“.

Das „Grab der Olympiade“ ist die bedeutendste Entdeckung der Etruskologen in den letzten Jahren. Den Namen erhielt dieses Grab von den Szenen, welche sportliche Wettkämpfe zeigen, und zu Ehren der in Rom 1960 stattfindenden Olympischen Spiele. Man datiert dieses Grab in die Mitte des 6. Jahrhunderts v. Chr. Das Auffallende an diesen Bildern ist ihre dramatische Bewegtheit. Da gibt es ein wildes Wagenrennen, bei dem die Lenker aufgeregt in ■die Pferde hineinpeitschen, -gibt es stürzende Pferde und^darüber durch die Luft .fliegende Wagenlenker — Szenen, die ohne weiteres aus einer Wochenschau herausgi.. hnitten sein könnten. Aber nur Szenen aus dem Leben sind es trotzdem nicht! Denn auch in diesem Grab ist jene grausige Darstellung zu finden, welche einen

Mann zeigt, dessen Kopf mit einem Sack verhüllt ist und der sich mit einem Stock verzweifelt gegen einen wütenden Hund wehrt, der von einem andern Mann mit spitzem Hut an der Leine gehalten wird. Genau die gleiche Szene findet sich auch im „Grab der Auguren“ von Tarquinia und wurde dort schon längst als ein wichtiger Schlüssel zur etruskischen Religion gedeutet: gegen das Schicksal sich aufbäumen, ist nicht mehr als ein wildes Herumschlagen mit verhülltem Kopf.

Und das ist das große Erlebnis eines Besuches der Etruskergräber: Man lernt ein Volk kennen, das heiß das Leben genoß und sich trotzdem zu jeder Stunde dem Schicksal ausgeliefert fühlte; man lernt ein Volk kennen, das ins Sterben verliebt war. weil es im Tod das die Zeiten Überdauernde sah.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung