Lieber Gähnen statt Brüllen

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"Vergessen wir die EU", forderte der tschechische Präsident Václav Klaus so wie schon letztes Jahr auch heuer beim Forum Alpbach. Doch so wie voriges Jahr hat auch diesmal kaum jemand auf Klaus gehört. Vielmehr wurde Alpbach auch 2005 wieder seinem selbstgesteckten Ziel gerecht: "Wir denken Europa." Auszüge aus den Ergebnissen dieses Nach- und Vor- und Querdenkens lesen Sie in diesem Dossier: EU-Sicherheitspolitik auf der Suche nach ihrer Mission und das heikle Verhältnis der EU mit Russland, Afrika und dem Nahen Osten. Die Europäische Union könnte ein Global Player sein - wenn sie wollte. Aber sie will nicht, zu ihrem und der Welt Schaden.

Braungebrannte Gesichter im Publikum und auf dem Podium sowie der Austausch von frischen Urlaubserinnerungen prägen die Veranstaltungen der Politischen Gespräche beim diesjährigen Forum Alpbach. Alle kommen frisch erholt aus den Ferien in das Tiroler Bergdorf gereist - allein "dieser Kontinent macht einen gewissen gestressten Eindruck", diagnostiziert der deutsche Politikwissenschafter Werner Weidenfeld für Europa und im Besonderen für die Europäische Union. Und Weidenfeld liefert auch gleich eine plausible Begründung für den gestressten Kontinent: Die letzten 15 Jahre in Europa waren "Geschichte im Zeitraffer", sagt Weidenfeld, deswegen brauche es auch nicht zu verwundern, dass Europa jetzt von einem starken "Ermüdungssyndrom" heimgesucht werde und sich selbst einmal eine "Nachdenkpause" verordnet hat.

Die Politischen Gespräche in Alpbach haben auf die Frage fokussiert: Kann und will die eu ein Global Player sein? Und der Tenor der Alpbacher Antworten, soviel vorweg genommen, lautet: Sie kann, aber sie will nicht.

Müde und ohne Identität

Neben den Ermüdungserscheinungen zählt Weidenfeld die nach wie vor offene Grenzfrage in der Europäischen Union und deren Identitätsschwäche zu den größten Hindernissen auf dem Weg zu einem europäischen Global Player. Außerdem werden einige eu-Mitgliedsländer von innenpolitischen Krisen heimgesucht, die den jeweiligen Politikern keinen europapolitischen Freiraum ermöglichen. Ohne innenpolitische Stärke, gezwungen auf "atmosphärischen Wellenkämmen zu reiten", ist aber für Weidenfeld kein geeignetes Umfeld, das es Politikern erlaubt, eine "europäische strategische Perspektive durchzuhalten". Deswegen sein Resümee: Kann die eu ein Global Player sein? "Ja!" Hat die eu den institutionellen Rahmen für einen Global Player? "Jein!" - denn erst die europäische Verfassung könnte hier zu einer Verbesserung beitragen. Und gibt es in der eu den Willen, ein Global Player zu sein: "Nein, dafür fehlt nicht zuletzt eine weltpolitisch denkende Elite!"

In Alpbach fehlt es nicht an Elite, dass diese weltpolitisch, ja wenigstens europapolitisch denkt, ist aber keine ausgemachte Sache: Egal unter welcher Überschrift das Forum Alpbach steht, der tschechische Präsident Vaclav Klaus bleibt seinem Thema treu und verkündet auch heuer so wie schon im vorigen Jahr: "Vergessen wir die eu und überlegen wir uns eine Möglichkeit, Europa eine demokratischere Form zu geben. Das könnte zum Beispiel in der oes geschehen: in der Organisation Europäischer Staaten." Jeder Supranationalismus ist Klaus ein Gräuel, der neue "Gemeinschaftismus" (ein Wort, das der Präsident patentieren lassen will) führe zum Untergang der alten demokratischen Ordnung, denn in "einer Sache bin ich mir sicher: Die meisten Institutionen der heutigen eu sind im Grunde nicht demokratisch und nicht demokratisierbar". Nur in einer Kooperation souveräner Staaten - ohne jeden Zentralismus - sieht Klaus eine stabile Grundlage der eu: "Auf jeden Fall muss die Idee der Schaffung eines Europäischen Staates aufgegeben werden." Der Staat (in welcher Größe eigentlich?) als höchste Möglichkeit der Demokratisierung, wenn jedoch ein Europäischer Staat rauskommt, soll das schlecht und undemokratisch sein? - Vaclav Klaus kann das Alpbacher Auditorium mit seinen Thesen nicht überzeugen; macht aber nichts, der tschechische Präsident ist bereits wieder für nächstes Jahr eingeladen. Was er wohl 2006 vorschlagen wird?

Verletzlicher Kontinent

Nicht vergessen, sondern seine Hoffnung auf die Europäische Union setzen, will Anatolij Adamishin vom Institut für Europa an der russischen Akademie der Wissenschaften in Moskau. Doch in ihrem derzeitigen Zustand, analysiert Adamishin, ist die eu um vieles weiter als noch vor wenigen Jahren davon entfernt, die Rolle eines Global Players zu spielen. Den Russen enttäuscht nicht nur die Entfremdung zwischen Russland und der eu (siehe auch Seite 22), mit Bitterkeit verfolgt er vor allem die Politik der eu-Mitgliedsländer, die Europa nicht zum Bewältigen weltweiter Probleme nützen, sondern zur Erfüllung ihrer nationalen Interessen missbrauchen.

Mit der eu nur politisches Kleingeld wechseln zu wollen, kritisiert auch Werner Weidenfeld, denn "die Verletzlichkeit Europas ist größer als die jedes anderen Kontinents". Sowohl was Sicherheit als auch Energie betrifft, ist Europa "existenziell von internationalen Krisen betroffen". Eine europäische Strategie für weltpolitische Koalitionen sei daher dringend notwendig, fordert Weidenfeld: Denn "ob sie will oder nicht, die Europäische Union muss ein Global Player sein".

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