Eine Welt, zwei Bilder

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Europa und USA haben völlig andere Schlüsse aus dem 11. September gezogen, bedauert Werner Weidenfeld vom Centrum für angewandte Politikforschung in München.

Die Furche: Differenzen und Spannungen zwischen den USA und Europa hat es immer wieder einmal gegeben. Was unterscheidet die derzeitige Krise von früheren?

Werner Weidenfeld: Im transatlantischen Verhältnis ist tatsächlich - ich zitiere US-Außenminister Colin Powell - ein "ernsthafter Bruch" eingetreten. Diese Krise ist weit mehr als ein bloßer Konflikt zwischen Regierungen. Die gegenwärtige Krise ist Ausdruck dafür, dass die kollektiven Weltbilder diesseits und jenseits des Atlantiks auseinander driften. Die gesamtgesellschaftlichen Wahrnehmungen zu Existenzfragen sind in Amerika und in Europa unterschiedlich. Der jeweilige Symbolhaushalt, passt mit dem des anderen nicht mehr zusammen.

Die Furche: Aber schon zu Zeiten des Vietnam-Krieges - um nur ein Beispiel zu nennen - waren die Wahrnehmungen über das, was Recht und Unrecht ist, unterschiedlich.

Weidenfeld: Selbst während des Vietnam-Krieges haben 70 Prozent aller Deutschen die Meinung vertreten, Amerika sei der beste und wichtigste Freund und Partner Deutschlands. Heute sagen das nur mehr etwas über 20 Prozent. Mehr als die Hälfte aller Deutschen spricht sich dafür aus, dass Europa eigene Wege gehe. Da ist eine dramatische Abkühlung des Verhältnisses passiert.

Die Furche: Hängt das auch damit zusammen, dass die Erfahrung des Kalten Krieges und noch mehr die Erinnerung an die Befreiung vom Nazi-Regime verblasst?

Weidenfeld: In gewisser Weise kehren wir sicherlich in eine Phase historischer Normalität zurück. Über die Jahrhunderte hinweg war das Verhältnis zwischen alter und neuer Welt immer ein ambivalentes: einerseits Bewunderung, andererseits Distanz. Die Jahrzehnte des Kalten Krieges haben einen Ausnahmezustand des uneingeschränkten Miteinanders geschaffen. Und ich warne davor, dass wir unser gegenwärtiges und zukünftiges Verhältnis zu den USA an dieser Ausnahmezeit messen - und daher immer wieder neu frustriert sind. So wie es war, wird es nie mehr werden. Wir müssen zu realistischen Positionen des Miteinanders kommen.

Die Furche: Wie lässt sich ein solches "normales" Verhältnis aufbauen?

Weidenfeld: Auf beiden Seiten ist eine egozentrische Interessenswahrnehmung vorherrschend, die den Partner aus den Augen verliert. Wir Europäer haben unsere Position dazu - basta! Und auch die Amerikaner tauschen sich nicht aus und interessieren sich nicht für das Know-how der Europäer zum Nahen Osten, zum Islam. Europa und Amerika haben völlig andere Schlüsse aus dem 11. September gezogen. Die USA redet von "Selbstverteidigung", aber die Europäer gehen bei dieser Definition nicht mit.

Die Furche: Geht es also darum, die unterschiedlichen Interpretationen des 11. September anzugleichen?

Weidenfeld: Und die sicherheitspolitischen Konsequenzen daraus zu ziehen. Mit dem 11. September hat wirklich eine Zeitenwende stattgefunden, vergleichbar mit dem Ende des Ost-West-Konflikts. Eine andere Substanz der Sicherheitsfrage ist aufgetaucht. Wir haben ein hochprofessionelles terroristisches Netztwerk an der Arbeit, das global agiert und in allen relevanten Gesellschaften mitten drin sitzt. Alle Beobachter gehen davon aus, dass rund 80.000 Terrorprofis in den letzten Jahren ausgebildet wurden. Seit dem 11. September haben wir vielleicht 200 bis 300 gefasst - an diesem Missverhältnis sieht man erst die Dimension der Herausforderung. Aber das Prinzip Abschreckung, wie zu Zeiten des nuklearen Patts im Kalten Krieg, funktioniert bei dieser neuen Art von Bedrohung nicht mehr. Das unverwundbare Amerika ist verwundbar geworden. Und das hat die Wahrnehmung der amerikanischen Gesellschaft tiefgreifend verändert, der europäischen hingegen nicht.

Die Furche: Wie können die Unterschiede ausgeglichen werden?

Weidenfeld: Ich plädiere dafür, auf allen Ebenen einen strategischen Dialog zu führen. Es muss gelingen, zu einer gemeinsamen Wahrnehmungssicht, zu gemeinsamen strategischen Bildern zu kommen. Die NATO hat das ja für ihren Bereich Anfang der fünfziger Jahre mit Erfolg entwickelt. Eine Sicherheitsakademie in Rom wurde gegründet, um eine Art Sicherheitselite zu erziehen. Vergleichbares könnte man doch heute auch tun.

Die Furche: Bislang konnte noch nicht einmal Europa zu einer gemeinsamen Wahrnehmungssicht finden...

Weidenfeld: Inzwischen hat die Irak-Krise Anstrengungen ausgelöst, die strategische Gemeinschaftsbildung unter den Europäer voran zu bringen. Javier Solana hat ja eine Art außenpolitische Strategie der EU-Außenminister vorgelegt. Das ist ein Schritt in die richtige Richtung. Das ist aber auch ein großer Kulturprozess, der nicht innerhalb von ein paar Monaten vollzogen ist. Dazu waren die Europäer über Jahrhunderte gespalten. Aber es geht zumindest in die richtige Richtung.

Die Gespräche führte Wolfgang Machreich.

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