Nicht der Pass edelt den Menschen

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Der EU gehe es wie einem Teenager, sagte der ungarische EU-Kommissar Peter Balazs bei den Politischen Gesprächen in Alpbach: "Sie ist zwei Nummern zu groß für ihre Kleider." Und sie soll noch größer werden, fordert der frühere türkische Premier Mesut Yilmaz. Zustimmung bekommt er vom libanesischen Journalisten Jihad El Zein, ablehnend äußert sich der deutsche EU-Parlamentarier Elmar Brok (S. 22). Und ob weniger Grenzen mehr Sicherheit bedeuten oder ein Eldorado für die Mafia sind, wird schließlich auf Seite 23 diskutiert. Redaktion: Wolfgang Machreich Europa dürfe sich nicht abschotten, fordert Bundespräsident Heinz Fischer in Alpbach. Mehr Grenzen machen die Welt freier, meint sein tschechisches Visavis Václav Klaus.

Die Alpbacher Pfarrkirche ist "Grenze und Grenzüberschreitung", das Motto des diesjährigen Forum Alpbach, zugleich: Der schindelgedeckte Kirchturm der Tiroler Gemeinde ist grün gestrichen - weithin sichtbares Zeichen, dass Alpbach kirchenrechtlich zur Erzdiözese Salzburg und nicht nach Innsbruck gehört - soviel zur Grenze. Und um die Grenzüberschreitung zu entdecken, braucht man sich nur nach dem Alpbacher Kirchenpatron erkundigen: Sankt Oswald, im 7. Jahrhundert König von Northumbria, dem heutigen Nordengland, ließ nicht nur den germanischen Wodan-Kult hinter sich und konvertierte zum Christentum, sondern er überschritt auch die Grenzen seiner königlichen Herkunft und tafelte mit den Armen und Ausgestoßenen seines Landes. Als Beschützer von Bauern und Vieh, als Wetter- und Wasserheiliger, Schirmherr der Reisenden und als Patron der Träumer wird er verehrt.

Klaus: "Grenzen machen frei"

Ohne Sankt Oswalds Dienste ist freilich der tschechische Präsident Václav Klaus bei der Eröffnung der diesjährigen Politischen Gespräche in Alpbach ausgekommen. "Ich denke, dass eine Welt mit mehr Grenzen freier sein kann als ohne Grenzen", provoziert Klaus schon zu Beginn seiner Ansprache. Und die Eliminierung aller Grenzen als Chance zu sehen, hält das tschechische Staatsoberhaupt für "absolut falsch".

Anschließend erteilt Klaus jeglicher EU-Lobhudelei eine Abfuhr: Die Erweiterung bringe weder für die alten noch für die neuen EUMitglieder unmittelbare Effekte: "Die Öffnung dieser Länder gegenüber den Ländern der EU und ebenso umgekehrt, ändert sich mit dem 1. Mai im Prinzip nicht. Effekte aus den gegenseitigen intensiven Beziehungen wuchsen allmählich seit dem Fall der Berliner Mauer und sind schon lange verkonsumiert."

Ein Kontinent handelt nicht

Auch den "Illusionen derjeniger, die eine kontinentale oder vielleicht kontinentalistische Betrachtungsweise der Welt haben, die annehmen, dass Europa, falls es größer und kompakter ist, eine größere Chance haben wird, der Hegemonie der USA und den großen Ambitionen Asiens zu widerstehen", kann Václav Klaus nichts abgewinnen, geißelt sie vielmehr als "fatalen Irrtum". Es gibt keinen kontinentalen Streit, behauptet der tschechische Präsident. Auch die oft diskutierte Konkurrenzfähigkeit Europas ist für Klaus nur ein "statistischer Artefakt, da einzig und allein die Konkurrenzfähigkeit einer Firma existiert: Der Kontinent ist kein Wirtschaftssubjekt, produziert nichts, handelt nicht, erfindet nichts, investiert nicht, spart nicht, rationalsisiert keine Produktion und senkt keine Kosten".

Das Projekt EU, die Verschiebung der Kompetenzen von den Staaten zu staatsübergreifenden Organen, hält Klaus für einen großen Fehler: "Wir sagen das jedoch nicht deshalb, weil wir gegen die europäische Integration wären. Wir sagen es, weil wir davon überzeugt sind, dass die menschliche Gesellschaft (und deshalb auch Europa) durch den Markt und durch andere ähnliche, spontan entstehende menschliche Aktivitäten vereinigt wird."

Schwere Kost für Europhile

Allein der Markt, Herr Präsident Klaus, wo bleibt da die Rolle der Politik? Václav Klaus: "Die menschliche Gesellschaft wird durch keine gemeinsamen Politiken: gemeinsame Agrar-, gemeinsame Industrie- gemeinsame Wettbewerbs-, gemeinsame Außenpolitik vereinigt. Diese Politiken - im Gegenteil - trennen Europa."

Die EU, die sich die institutionelle Grenzüberschreitung auf die Fahnen geheftet hat, soll - so Klaus - nur neue Grenzen setzen. Na prost! Da greift im Anschluss an die Klaus-Rede so mancher der europhilen Alpbacher Ehrengäste ganz gerne zu den Schnapsstamperl, die von den Marketenderinnen der Schützenkompanie angeboten werden.

Einschließen = Ausschließen

Zum Stamperl greift in Alpbach auch der österreichische Bundespräsident Heinz Fischer - das bleibt aber die einzige Übereinstimmung zwischen ihm und seinem tschechischen Kollegen: Nicht allein der Markt, sondern "der Wunsch, diesem Europa mit seinem einzigartigen Politik-, Wirtschafts-, und Sozialmodell anzugehören, lässt die Kräfte der Reform und der Demokratie erstarken", kontert Fischer. Und nicht allein der Markt, sondern die gemeinsame Verfassung sei ein Schritt zur Stärkung des europäischen Fundaments, fügt er hinzu.

Jede Erweiterung der EU bringe neue Grenzen, sagt der Bundespräsident. Der Innsbrucker Politologe wird einige Tage später diesen Sachverhalt in einer Alpbacher Diskussionsrunde so umschreiben: "Wenn wir einschließen, schließen wir aus". Für Pelinka sind Ein- und Ausschließung nur zwei Seiten einer Medaille: "Und die Frage ist nicht ob, sondern wie wir ein- und ausschließen."

Fischer: "Grenze für Grenzen"

Aus den Grenzen zu den neuen EU-Nachbarn dürfen keine neuen Trennlinien werden, mahnt Bundespräsident Fischer. Europa dürfe sich nicht nach außen abschotten: "Auch Grenzen müssen Grenzen haben." Und "die Flüchtlingsthematik ist kein Randproblem, sondern muss im Zentrum Europas stehen". Damit dieses Zitat aus Bert Brechts "Flüchtlingsgesprächen" in Europa einmal seine Gültigkeit verliert: "Der Paß ist der edelste Teil von einem Menschen. Er kommt auch nicht auf so einfache Weise zustand wie ein Mensch. Ein Mensch kann überall zustandkommen, auf die leichtsinnigste Art und ohne gescheiten Grund, aber ein Paß niemals. Dafür wird er auch anerkannt, wenn er gut ist, während ein Mensch noch so gut sein kann und doch nicht anerkannt wird."

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