Parallelwelt in Liebenau

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Kurz vor dem Schulreformgipfel am 14. Februar kreist die Bildungsdebatte um die Ganztagsschule. Eine Grazer Volksschule zeigt, wie dieses Modell - fernab der "Zwangstagsschule" - funktionieren kann.

Hätten wir die beste aller Welten - die Schulen sähen anders aus: Sie wären Schultürme mit luftigen Atrien, mit einem Forum zur Basisvermittlung, mit einem Campus mitten in der Natur, mit einer Mensa, wo das Essen zum Gedankenaustausch reizt, mit einem Fitnessraum, einem Ruheraum, einem Social Corner, einem Atelier und vielem mehr. So sollte sie sein, die "Steirische Tagesschule" der Zukunft, wie sie Andreas Schnider und Anton B. Bucher im Buch "Eine Schule des Miteinander" (öbv&hpt 2004) skizzierten.

Zwei Klassen - zwei Modelle

Die harte Realität sieht anders aus. Auch in der Volksschule Graz-Liebenau. Selbst wenn sie von einem großen Park mit altem Baumbestand umgeben ist: Von einem luftigen Schulturm ist die alte Villa weit entfernt. Auch den versprochenen Ruheraum zum Lesen und Seelebaumelnlassen hat man noch nicht. Und doch kommt Schnider, Geschäftsführer der steirischen Volkspartei und Bildungsvordenker, bei dieser Schule ins Schwärmen: "Die sind auf einem wunderbaren Weg."

Seit einem Jahr realisiert Direktorin Antonia Frech das, was in der derzeitigen Schuldiskussion undenkbar scheint: Sie führt zwei - scheinbar widersprüchliche - Schulmodelle parallel. 28 Taferlklassler besuchen die herkömmliche Vormittagsschule und werden danach - je nach Wunsch ein bis fünf Nachmittage pro Woche - betreut. Ihre 27 gleichaltrigen Kollegen in der anderen Klasse besuchen hingegen eine "echte" Ganztagsschule: Von 8 bis 16 Uhr durchleben sie eine Mischung aus unterrichtsbezogenen Themen, Projektunterricht, individueller Förderung und Freizeit. Der Stundentakt ist aufgelöst. Bis zu 115 Euro monatlich kostet den Eltern in beiden Formen die Betreuung ihrer Knirpse - Mittagessen inklusive. Die öffentliche Hand schießt pro Kind und Monat 100 Euro mehr als in anderen Volksschulen zu.

Die Liebenauer Parallelität führt die Warnung vor der "Zwangstagsschule" endgültig ad absurdum - schließlich können sich die Eltern je nach Bedarf für die eine oder andere Variante entscheiden und sie auch wechseln. "Die beiden Modelle existieren ganz friedlich und harmonisch nebeneinander", betont Direktorin Frech im Furche-Gespräch.

Die Liebenauer Harmonie ist im heimischen Schulsystem freilich eine Seltenheit: Um ein Ganztagschulmodell einzurichten, müssen im Vorfeld zwei Drittel der betroffenen Eltern und Lehrer (Schulforum) dafür stimmen.

Auf Initiative der steirischen Bildungslandesrätin Kristina Edlinger-Ploder (vp) wurde die Liebenauer Schule als erste öffentliche Volksschule von diesem Hürdenlauf befreit - und zur Pilotschule gemacht: Die Direktorin konnte bei der Anmeldung von vornherein zwei verschiedene Modelle anbieten - und ist auf reges Interesse gestoßen: "Es kommen vor allem gebildete Eltern zu uns, die es schätzen, dass die Kinder auch soziale Kompetenzen lernen", erzählt die Direktorin. Die Zahl der Unterrichtsstunden ist in beiden Schulmodellen gleich. "Nur die Aufteilung in der Ganztagsschule verlangt Geschick", so Frech. Auch die beiden betroffenen Lehrerinnen machen - nach einer Gewöhnungsphase - begeistert mit. Im Herbst, wenn der zweite Jahrgang startet, soll eine externe Evaluierung folgen.

Dass ihr pädagogisches Konzept - wenngleich noch nicht die Architektur - der "Steirischen Tagesschule" verblüffend ähnelt, freut die Pädagogin. Auch bei Andreas Schnider ist die Genugtuung über die Vorzeigeschule groß. Umso vehementer fordert er auch für andere Schulen Erleichterungen bei der Einführung von Ganztagsschulmodellen. Den Vorstoß seiner Parteifreundin, Bildungsministerin Elisabeth Gehrer, die Ganztagsbetreuung fünf Tage pro Woche zum Regelfall zu machen, sei ein erster Schritt - aber nicht genug, so Schnider: "Die Eltern wollen ja nicht nur eine Verwahrung, sondern eine neue Form von Schule." Entsprechend groß sind seine Erwartungen an den "Reformdialog" vom 14. Februar: "Meine größte Angst ist, dass wir einfach die Etiketten austauschen - und in der Flasche das Gleiche bleibt."

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