Ich wollte, Du und ich, wir wären eine Kraft, / Wir wären eines Blutes / und ein Erfüllen, eine Leidenschaft, / ein heißes Weltenliebeslied!", wünscht sich die Dichterin Else Lasker-Schüler, die wie wir so oft nach "verlorenen Wundern sucht", wissend um eine "tiefgekränkte Gottheit", die je und je versiegen will angesichts der Bilder einer gigantischen Unmenschlichkeit. Ohne Zahl ist die Qual, die wir bereiten. Jeder Mensch ein Teil des Vernichtungskollektivs.
"Warum widerspiegeln wir (Gottes) allgültiges Antlitz entgottet?", fragt die Dichterin, nicht nur sich, sie fragt direkt ins Heute. Die Dimensionen sind außer Rand und Band geraten, das ICH ist über alle Ufer getreten, nicht nur, was seine Möglichkeit der Selbstmitteilungen betrifft, auch was durch überdimensionierte politische Egos an uns herangetragen wird. Wenn wir das Sterben auch nur auf Bildschirmen sehen, Menschen und Tiere und Pflanzen, ist es doch der wirkliche Tod, den wir bereiten.
Jedes Bild ein Teil der Wirklichkeit der ganzen Welt, die unser aller Kind ist und die meiner bedarf. Weltschwanger sein in der Seele, so könnte das Weltenliebeslied beginnen. "Alles Einzelne als einen Teil des Ganzen, alles Beschränkte als eine Darstellung des Unendlichen hinnehmen, das ist Religion", sagt Friedrich Schleiermacher.
Und jedes Endliche bestünde nur durch die Bestimmung seiner Grenzen, "die aus dem Unendlichen gleichsam herausgeschnitten werden müssen". Ich glaube an die Kraft des Gebetes, das mein Ich begrenzt und das die Allmachtsphantasten eine andere Sprache lehren könnte, die vom großen Du, das einmal uns angesprochen hat, in tiefer Sehnsucht nach Erfüllen und aus Leidenschaft. Ich will so anfangen und mich rufen lassen von der Dichterin aus allen traurigen Fragen: "Komm bete mit mir - denn Gott tröstet mich."
Die Autorin ist Pfarrerin an der Lutherischen Stadtkirche in Wien
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