Ein Tor zur Zwischenwelt

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Der Umgang mit Demenz-Patienten stellt Betreuer und Gesellschaft vor eine große Herausforderung.

Demenz ist nicht nur eine Erkrankung des Betroffenen, sondern sehr häufig eine Erkrankung des gesamten Systems." Man stelle sich nur einmal die Situation der Gattin eines Demenzkranken vor, die jeden Tag aufs neue beschuldigt wird, ihm etwas gestohlen zu haben, verdeutlicht Gerald Gatterer, Leiter der Psychologisch-psychotherapeutischen Ambulanz des Geriatriezentrums am Wienerwald, den psychosozialen Aspekt demenzieller Erkrankungen. Verhaltensauffälligkeiten, wie Aggressionen, Halluzinationen und Wahnvorstellungen, die sehr häufig im mittleren Stadium der Krankheit aufkommen, bereiten vielen Betreuern ein enormes Problem im Umgang mit den Kranken.

Belastendes Verhalten

Da für Angehörige in erster Linie nicht die Gedächtnisstörungen, sondern diese Persönlichkeitsveränderungen die größte Belastung darstellen, wäre die Mitarbeit und Unterstützung von Seiten der Ärzte und der Pfleger besonders wichtig, so Antonia Croy, Psychotherapeutin und Vorsitzende der Selbsthilfegruppe "Alzheimer Angehörige Austria": "Es bedarf unbedingt eines diagnosebegleitenden Gesprächs, damit die Patienten und ihre Angehörigen nicht mit der Diagnose allein gelassen werden." Mit ihrem gemeinsamen Buch "Leben mit Demenz", das in Zusammenarbeit mit Fachleuten aus den Bereichen Medizin, Pflege, Psychologie sowie mit Angehörigen entstanden ist, haben Gerald Gatterer und Antonia Croy einen praxisorientierten Leitfaden für das Zusammenleben mit demenziellen Personen zusammengestellt.

Die Selbsthilfegruppe für Alzheimer Angehörige bietet in Zusammenarbeit mit Ärzten und Pflegern Trainingskurse an, wie einerseits mit dem veränderten Verhalten umgegangen werden kann und andererseits, wie sich die Pflege von Demenzkranken in späteren Stadien der Krankheit gestaltet. Psychotherapeutische Gespräche und Gesprächsgruppen gehören auch zum Angebot der Selbsthilfegruppe, aber damit könne, so Croy, natürlich nur ein kleiner Prozentsatz der Angehörigen erreicht werden. "Psychologische Unterstützung für Angehörige von Demenzkranken gibt es ansonsten aber so gut wie keine."

Burn-out bei Betreuern

Unterstützung der Angehörigen wäre in den Augen Gatterers aber dringend notwendig, um körperliche und seelische Überforderung, die leicht zum "Burn-out" führen kann, zu verhindern. Bei Demenz habe man es mit der umgekehrten Situation des Kindesalters zu tun: "Bei einem Kind, das sich von unten nach oben entwickelt, erfährt man bei der Betreuung Erfolgserlebnisse. Bei einem Demenzkranken schreitet das Krankheitsbild, ganz gleichgültig, wie gut man ihn betreut, fort." Und damit befinden sich die betroffenen Betreuer - professionelle Pfleger wie Angehörige - in einer Situation, die leicht zum "Burn-out"-Syndrom, einer körperlichen, emotionalen und seelischen Erschöpfung, sowie zu einem therapeutischen Nihilismus führe: "Ich tue und mache was ich nur kann und trotzdem wird alles immer schlechter."

Demenzielle Erkrankungen stellen mit 60 bis 80 Prozent in der Geriatrie nicht die Ausnahme, sondern ein Stück Normalität. Der voraussichtliche, durch die demografische Entwicklung bedingte, dramatische Anstieg von Demenzkranken in den kommenden Jahrzehnten wird das Gesundheits- und Sozialwesen allerdings vor noch größere Herausforderung stellen, als es bis jetzt der Fall war. Für Roland Paukner, Direktor der Teilunternehmung Pflegeheime des Krankenanstaltenverbunds, stellt sich in diesem Zusammenhang vor allem die Frage, wie weit man bereit sei, die Menschen, die sich in ein Zwischenreich verabschieden, nicht nur zu akzeptieren, sondern auch Möglichkeiten zu finden und zu nutzen, mit ihnen Kontakt aufzunehmen. "Dazu wird die Gesellschaft Ressourcen zur Verfügung stellen müssen: Zeit- aber auch Geldressourcen."

Damit ist allerdings keine "warm-satt-sauber" Pflege gemeint: Altern ist ein multidimensionaler Prozess, der sowohl durch körperliche, psychische, soziale und umweltbedingte Faktoren beeinflusst wird. Die Betreuung und Therapie von Demenzpatienten muss verschiedene Komponenten, wie zum Beispiel kognitive Trainingsprogramme und psychotherapeutische Behandlung der begleitenden Verhaltensstörungen aber auch das soziale Umfeld und die Wohnsituation miteinbeziehen. Als besonders dringlich erscheint die weitere Einrichtung eigener Demenzstationen, die auf die besonderen Bedürfnisse ihrer Bewohner Rücksicht nehmen.

Gesellschaftliches Tabu

Eine besonders große Hürde im Umgang mit Demenz ist, dass dieses Thema nach wie vor in der Gesellschaft tabuisiert wird. Die Diagnose "Demenz" oder auch "leichte kognitive Beeinträchtigung" ist für viele ein Schock, der nicht selten zu Verdrängung oder gar zur sozialen Isolation führt. "Aufgrund ihres veränderten und auffälligen Verhaltens kann es sehr unangenehm sein, sich mit Alzheimer-Kranken in der Öffentlichkeit zu bewegen." Das führe dann oft dazu, meint Croy, dass viele Angehörige sich zurückziehen und mit den Kranken nicht mehr hinausgehen.

Eine Initiative, die zur Aufklärung und Sensibilisierung beitragen will, ist der "Memory-Bus", der dieses Jahr bereits zum dritten Mal durch Österreich tourt. Angeboten werden Gedächtnisübungen und Gedächtnistests sowie Information durch Experten. Bewusstsein durch Aufklärung zu schaffen fördert auch die Früherkennung, die für die Krankheit und deren Verlauf wesentlich ist: "Mit der Früherkennung bekommen wir die Chance in die Hand, die Erkrankung zu verzögern und somit das Tor zur Welt des Patienten offen zu halten", so Paukner. Auch die Ängste nehmen könne man so besser sowie die Aggressionen mindern, die durch dieses Zwischenreich, in dem die Demenzkranken leben, entstünden. Bei einer frühen Diagnose gewinnt man vor allem auch Zeit, die Betroffenen davon zu überzeugen, dass "auch dieses Zwischenreich Schönheiten hat, wenn wir die Kommunikation aufrechterhalten können".

Buchtipp:

Leben mit demenz

Praxisbezogener Ratgeber für Pflege und Betreuung

Von Gerald Gatterer und Antonia Croy Springerverlag, Wien 2005

325 Seiten, brosch., e 29,80

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