"Ausgrenzung als Schmerzensquelle"

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Das Drama "Still Alice" zeigt, wie die Diagnose "Alzheimer" in das Leben einer Professorin und ihrer Familie einbricht. Wie realistisch ist der Film? Und was bedeutet es jenseits von Hollywood, mit dieser Krankheit zu leben? Ein Gespräch mit Demenzforscherin Stefanie Auer.

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Das Drama "Still Alice" zeigt, wie die Diagnose "Alzheimer" in das Leben einer Professorin und ihrer Familie einbricht. Wie realistisch ist der Film? Und was bedeutet es jenseits von Hollywood, mit dieser Krankheit zu leben? Ein Gespräch mit Demenzforscherin Stefanie Auer.

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Es beginnt mit kleinen Aussetzern und Wortfindungsstörungen -Phänomene, die Alice Howland alsbald irritieren. Für die Linguistikprofessorin an der New Yorker Columbia University (grandios verkörpert von Julianne Moore, die dafür verdient den Oscar erhielt) ist Kommunikation schließlich das Wasser, in dem sie sich wie ein Fisch bewegt. Als die 50-Jährige einen Neurologen konsultiert, wird sie mit der erschütternden Diagnose konfrontiert: "Young Onset Dementia"(YOD), eine seltene, vererbbare und in jungen Jahren auftretende Alzheimer-Form. Anfangs behält sie die schockierende Gewissheit bei sich, doch schließlich vertraut sie sich ihrem Mann (Alec Baldwin) und ihren drei Kindern an. Die Familie gibt ihr Halt, dennoch droht Alice an der Krankheit, die sie als existenziell beschämend empfindet, zu zerbrechen.

Diesen Freitag kommt der bewegende Film, der auf dem gleichnamigen Roman der US-Neurowissenschafterin Lisa Genova basiert, in die österreichischen Kinos. Stefanie Auer, seit 2001 wissenschaftliche Leiterin der MAS Alzheimerhilfe (Morbus Alzheimer Syndrom) mit Sitz in Bad Ischl, sowie seit Jänner Professorin für Demenzforschung an der Donau-Universität Krems, hat sich "Still Alice" vorab angesehen -und mit der FURCHE über die Stigmatisierung Demenzbetroffener sowie nötige Unterstützungsmaßnahmen gesprochen.

Die Furche: Frau Professor Auer, wieviel Realität steckt im Hollywood-Drama "Still Alice"?

Stefanie Auer: Ich finde, Julianne Moore ist es grandios gelungen, die Situation einer Person mit Demenz darzustellen. Diese beängstigende Erfahrung, dass das Gehirn "stirbt", wie sie sagt, diese Panik, als sie sich an einem bekannten Platz verirrt, oder auch die Szene, wo sie die Toilette in ihrem eigenen Haus nicht findet. Wobei man bedenken muss, dass es sich im Film um eine besondere Form von Demenz handelt, die familiär gehäuft auftritt und auch einen schnelleren Verlauf nimmt: Typische Alzheimerverläufe dauern ja im Durchschnitt 15 Jahre. Auch die Reflexionsfähigkeit dieser Frau ist außergewöhnlich - wobei ich selbst ähnliche Personen begleiten durfte, die mir von ihren großen Ängsten erzählt haben.

Die Furche: Alice sagt an einer Stelle: "Ich wünschte, ich hätte Krebs. Dann müsste ich mich nicht so schämen"

Auer: Diese Krankheit ist tatsächlich extrem stigmatisierend. Betroffene werden oft nicht mehr ernst genommen und ausgegrenzt. Auch in diesem Film, in dem die Familie so gefasst und aufgeklärt reagiert, sieht man, wie die anderen hinter ihrem Rücken tuscheln und ohne sie Entscheidungen treffen. Diese Ausgrenzung nehmen die Betroffenen wahr, sie ist eine große Schmerzensquelle.

Die Furche: Tatsächlich gibt es bei den wohl situierten Howlands aber bis zuletzt ein relativ harmonisches Eheleben, auch Aggressionen gibt es kaum

Auer: Das ist richtig. Auffällig ist auch, dass Alice so wenig rebelliert gegen das, was mit ihr passiert. Natürlich gibt es solch unglaubliche Persönlichkeiten. Aber die Diagnose "Demenz" bringt Menschen an den Rand des Erträglichen -und auch ihre Familien: In der Beratung sehen wir, dass Angehörige oft sehr lange brauchen, dieses Faktum in der Realität wahrzunehmen, und dass es für sie harte Arbeit bedeutet, die Diagnose in ihren Lebensplan zu integrieren. Gerade die Angehörigen leiden oft fürchterlich: Sie haben das Gefühl, ihren Partner, ihr Mutter, ihren Vater zu verlieren. Deshalb ist auch eine langfristige Betreuung der Familien wichtig - samt Hilfen, wie Angehörige mit ihrer Trauer umgehen können.

Die Furche: Oft erzählen Familien, dass Betroffene trotz zunehmender Demenz-Zeichen aus Angst den Gang zum Arzt meiden. Alice geht von sich aus zum Neurologen, um Gewissheit zu haben

Auer: Ja, und dafür bin ich dem Film besonders dankbar. Im ersten Moment ist man entsetzt über die kalte Analyse dieses Neurologen. Aber er gibt Alice auf ihre klaren Fragen eben klare Antworten. Es ist nicht so, dass man die Betroffenen schützen muss und nur noch mit ihren Angehörigen offen reden darf, wie es leider oft passiert. Man darf die Betroffenen nicht von Anfang an entmündigen, das ist nicht wertschätzend. Aber natürlich gibt es gerade am Anfang große Angst und einen großen Leidensdruck. Die MAS Alzheimerhilfe hat deshalb in Oberösterreich eine bundesweit einzigartige Struktur zur Früherkennung aufgebaut: die "Demenzservicestellen", von denen es sechs gibt. Personen, die sich um ihr Gedächtnis Sorgen machen, haben hier eine niederschwellige Anlaufstelle, an die sie sich wenden können, noch bevor sie eine Diagnose haben.

Die Furche: Bei frühzeitiger Demenz-Diagnose können die Symptome besser behandelt werden, eine Heilung ist aber noch nicht möglich. Entsprechend kritisch sehen viele Gentests, wie sie auch im Film von Alices Kindern -unbegleitet -genutzt werden. Tatsache ist, dass Betroffene nach der Diagnose meist in ein tiefes Loch fallen und vielfach verzweifeln. Auch Alice plant ihren Suizid. Wie oft kommt es zu Selbsttötungen?

Auer: Dazu gibt es sehr wenige Untersuchungen. Aber ich denke, dass viele Suizide auch auf dieses Konto gehen. Deshalb ist die begleitete Früherkennung in einer niederschwelligen Form ein wichtiger Auftrag an die Gesellschaft. Sie muss auch kombiniert werden mit einer positiven Botschaft: Nicht nur "Hol dir deine Diagnose ab", sondern auch: Wie kann ich dieses veränderte Ich annehmen und daraus eine neue Identität und ein positives Lebenskonzept entwickeln? Und wie schließen wir alle diese Personen im Alltag ein? Genau diese psychosoziale Begleitung ist mir im Film "Still Alice" abgegangen. Hätte es sie gegeben, dann wäre es Alice vermutlich besser gegangen. Diese Frau ist sehr einsam geworden in ihrem Kampf. Das ist das Traurige an diesem Film.

Die Furche: Tatsache ist, dass die Betroffenheit laut jüngstem Demenzbericht (s. Kasten) dramatisch steigen wird. Was braucht es in Österreich für eine bedürfnisgerechte Begleitung von Personen mit Demenz und ihrer Familien?

Auer: Zunächst muss es uns gelingen, das Thema zu enttabuisieren. Außerdem brauchen Menschen mit Demenz und deren Angehörige konkrete Hilfe, etwa Trainingsmöglichkeiten, um die Ressourcen zu stärken, sowie stadiengerechte Entlastungsangebote für die Angehörigen: Eine Tagesheimstätte ist am Beginn keine Option, aber später sehr wichtig -auch, um Kosten zu sparen. Wenn wir die Angehörigen nämlich allein lassen, sind sie die nächsten, die im Gesundheitssystem landen: Aus Studien wissen wir, dass Angehörige von Personen mit Demenz ein erhöhtes Risiko haben, eine Depression oder stressbedingte Erkrankungen des Herz-Kreislauf-Systems zu entwickeln. Alle Maßnahmen, die wir setzen, sollen zudem auf Wirksamkeit überprüft werden. Ich hoffe sehr, dass dies nun in der österreichischen Demenzstrategie berücksichtigt wird. Wertschätzung, Forschung und Investitions-Konzepte sind bereits vorhanden.

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