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Volk im Flugzeug

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Aden, im Mai. „Unternehmen Zauberteppich“ (Operation Magic Carpet), die erste Übersiedlung eines ganzen Volkes auf dem Luftweg, welche die Geschichte kennt, ist seinem Abschluß nahe. In bis nun 350 Pendelflügen sind im Laufe eines Jahres die Juden Südarabiens, des Yemen und Hadramauts, fast fünfzigtausend an der Zahl, nach Israel evakuiert worden. Saudi-Arabien überfliegend, das niemals Juden den Durchzug gestattet hätte, denen Ägypten auch den Suezkanal sperrte, haben die mächtigen „Skymasters“ des Joint Distribution Committees einen früh abgesprengten Splitter des jüdischen Volkes in die alte Heimat zurückgeführt. Das Unternehmen war beispiellos: im zweiten Weltkrieg wurde niemals der Lufttransport einer ähnlichen Menschenzahl unternommen. Nie vorher ist ein Volk, dessen Lebensbedingungen völlig mittelalterlich feudal geblieben waren, derart innerhalb weniger Stunden in das Milieu des vielleicht modernsten Agrikulturstaates der Erde versetzt worden.

Die Juden des Yemen sind reine Nachkommen von Auswanderern, die Palästina knapp nach der römischen Zerstörung Jerusalems verlassen hätten. Ihr Kunsthandwerk, ihre Frauenkleidung sind hellenistisch geblieben. Ihre Lebensform hat sich seit den Tagen der Kreuzfahrer kaum geändert. Sie bildeten eine niedere Kaste im starren Gefüge des Imamreiches, dessen Tabus ihnen längst selbstverständlich geworden waren. Niemals verlorer. die biblischen Prophezeiungen ihre Gewalt über dieses Völkchen. Durch zwei Jahrtausende warteten sie auf die vorhergesagte Heimberufung in das Land der Väter. Als die Kunde von Israels Staat-werdung zu ihnen drang, riefen in, den Ghettos der Bergstädte Südarabiens die gewundenen Widderhörner zum Aufbruch. Die Wanderung der yemenitischen Juden ist eine messianische Bewegung in unserem gottlosen Jahrhundert.

Im Auffangelager des „Joint.“ in Aden treffen die städtischen Juden des Yemen, Silberschmiede, Sticker, ein paar Landwirte, mit den Beduinenjuden des Hadra-maut zusammen — Nachkommen der Stämme, die in den ersten diristlichen Jahrhunderten das Judentum angenommen hatten und zur Zeit Mohammeds nach Hunderttausenden zählten. Hier warten diese Menschen aus dem grauen Altertum ein paar Wochen, bis an sie die Reihe kommt, das Flugzeug zu besteigen. Ohne Aufregung, denn in der Bibel wird gesagt, daß sie eines Tages „auf Adlersflügeln“ heimkehren werden.

Das Lager von Aden, in dem die Yeme-niten dann versammelt werden, ein alter Camp der amerikanischen Luftwaffe, liegt auf dem Wüstenisthmus, der die Adenhalbinsel mit dem arabischen Festland verbindet. Hier werden die Wanderer für die Übersiedlung nach Israel aufgefüttert. Sie haben eine Fußwanderung mehrerer Wochen hinter sich, eine Wanderung, die alle Mühsale des biblischen Exodus konzentriert, bevor sie an der Grenze des Adenprotektorats von den Lastautos des „Joint“ übernommen und in das Lager gebracht werden. Es ist ein interessantes Detail zur Geschichte des Mittleren Ostens, daß diese Karawanen, die oft ansehnliche Werte mit sich führen, beim Durchkreuzen der letzten leeeren Flecken unserer Weltkarte nie belästigt werden, weil sie ößn zahlreichen Duodezsultanen, deren Ländchen sie passieren, den Wegzoll pünktlich entrichten.

Es sind fröhliche Menschen von kindlicher Güte, kindlicher Einfalt, für die das Lager ein Reich ungeahnter Wunder darstellt.

Die Familien aus- derrr-Hadramaut -und Yemen werden im Lager eingeteilt und an die Allgewalt des beschriebenen Papiers gewöhnt. Die ersten Identitätskarten, die ersten Lebensmittelkarten in ihrem Leben, werden allmählich in ihrer entscheidenden Wichtigkeit erkannt. In der Reihenfolge der Ankunft werden die Auswanderer zur Weiterreise nach Palästina aufgerufen. Sie packen ihre Laren und Penaten, die uralten Thorarollen und die fast ebenso alten, mannshohen Wasserpfeifen. Sie werden zum Flugplatz hinausgeführt, lagern unter den gewaltigen Flügeln der Maschinen und warten, bis das

Widderhorn des Rabbis sie zum Aufbruch ruft.

Jetzt tröpfeln die Bergjuden des Yemen nur mehr in Nachzüglergrüppchen in den Aden-Camp. Aber die Skymasters des Joint sind deshalb nicht müßig. Sie sind für ein neues Unternehmen eingesetzt, das eben begonnen hat. Die Juden des Irak fliegen nun nach Israel. Die Nachkommen einer noch älteren Emigration, der von Nebukadnazzar aus Palästina deportierten Juden Babylons, haben sich zur Heimkehr entschlossen.

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