Leben im Märchenwald

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Eine Retrospektive des Filmarchivs Austria beleuchtet die heimische Filmlandschaft zwischen 1918 und 1938.

Hitlerjunge Quex", "SA-Mann Brandt", "Triumph des Willens": Binnen Tagen nach dem am 13. März 1938 vollzogenen "Anschluss" Österreichs an das Deutsche Reich wurden die nunmehr ostmärkischen Kinos gezielt mit bis dahin verbotenen nationalsozialistischen Propagandafilmen überschwemmt. "Tatsächlich aber bedeutete der, Anschluss' für das österreichische Filmschaffen keine große Zäsur", erklärt Karin Moser vom Filmarchiv Austria, das bis 1. April die Retrospektive "Kampfzone Kino. Film in Österreich 1918-1938" im Wiener Metro Kino zeigt. Die Filmschau zeichnet die Entwicklung des österreichischen Kinos bis zum "Anschluss" nach und führt an ausgewählten Filmen vor Augen, inwieweit Österreich auf diesem Gebiet schon vor 1938 die Waffen gestreckt hatte.

Kitsch versus Klasse

Die Auseinandersetzung zwischen Moderne und Tradition, zwischen Sozialdemokratie und dem bürgerlichen Lager machte in der Zwischenkriegszeit auch das Kino zur Kampfzone. Die Linke polemisierte gegen den "bürgerlichen Kitschfilm", der das "Klassenbewusstsein" untergrabe. Stattdessen wurden "proletarische" Filme oftmals russischer Provenienz propagiert. Diese "Gottlosenpropaganda" wiederum wurde von der Rechten verteufelt, ebenso Filme, die das Andenken an die Monarchie und die "Soldatenehre" befleckten und Streifen, die in sexueller Hinsicht zu freizügig schienen. Bei Aufführungen der heute als Klassiker anerkannten Streifen "Im Westen nichts Neues" (USA 1930) und "Ekstase" (CSR/A 1933) kam es zu Ausschreitungen.

Nach der Demontage der Demokratie durch Engelbert Dollfuß förderte das ständestaatliche Regime Filme wie "Ernte" (A 1936, mit Paula Wessely), der das Ideal der christlichen Bäuerin hochhielt. Vor allem aber setzte es auf den Wiener Musikfilm: leichte Unterhaltung, zumeist in der Zeit vom Wiener Kongress bis zum Fin de siècle angesiedelt, in der die glänzende Vergangenheit und das kulturelle Erbe Österreichs hervorgehoben wurden. Bei den austrofaschistischen Behörden standen Filme wie "Burgtheater" (A 1936, Regie: Willi Forst) oder die Kleinbürgeridylle "Endstation" (D 1935, mit Paul Hörbiger), bezeichnenderweise eine deutsche Produktion, hoch im Kurs.

In der österreichischen Filmbranche galt de facto Jahre vor dem "Anschluss" der deutsche "Arierparagraph". Hitlerdeutschland verweigerte all jenen Produktionen, an denen jüdische Schauspieler oder Filmschaffende mitwirkten, den Zugang zum wichtigen deutschen Markt. Ab 1935 mussten für jeden österreichischen Film, der in die deutschen Kinos kam, die "arische Abstammung" der Beteiligten nachgewiesen werden. In Österreich entstanden daher, oftmals unter Mitwirkung deutscher Emigranten, eine Reihe von Filmen, die gar nicht erst für den deutschen Markt gedacht waren, etwa "Katharina - Die Letzte" (A 1936, mit Hans Holt) oder "Letzte Liebe" (A 1935). Doch die unabhängigen Filmproduktionen endeten nur allzu oft im finanziellen Desaster. "Die österreichischen Regierungsstellen haben mehrfach Chancen vergeben oder auch gar nicht erst in Erwägung gezogen, die heimische Produktion zu stärken und gegenüber der deutschen unabhängig zu machen", heißt es im Begleitband des Filmarchivs Austria zur Retrospektive "Kampfzone Kino".

Zensur, mitunter lächerlich

Dafür tobte sich die 1934 wieder eingeführte Zensur aus: Aus Charlie Chaplins "Moderne Zeiten" (USA 1936) wurde "kommunistische Propaganda" entfernt - die Schilderung der Not einer arbeitslosen Familie. An "Das Frauenparadies" (A 1936), einer modernen Aschenbrödel-Geschichte vom sozialen Aufstieg einer jungen Frau, wurde ausgesetzt, der Film erwecke Hoffnungen, "die bekämpft werden müssen". Die Aktivitäten der Zensurbehörden grenzten mitunter ans Lächerliche: "Seine Tochter ist der Peter" (A 1936) galt als bedenklich, weil es darin um ein burschikoses Mädchen geht, deren Eltern in Scheidung leben. Darüber schüttelte sogar das offizielle Kino-Journal den Kopf: "Wir leben nicht im Märchenwalde."

Nicht zuletzt wegen Kompetenzstreitigkeiten - die Zensur war Ländersache - blieb die Kontrolle des Ständestaats über die Kino- und Filmlandschaft lückenhaft. Erst im Dritten Reich wurde der Film komplett gleichgeschaltet und auf totalitäre Weise zur Massenmanipulation eingesetzt. Mit einem Unterschied: Nacktszenen wie in "Titanic" (D 1943) oder "Münchhausen" (D 1943) hätte der bigotte Ständestaat nie und nimmer toleriert.

www.filmarchiv.at

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