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Als Irlands Mönche nach Europa kamen

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Das Licht des „dunklen Mittelalters" leuchtete hellgrün. Vom 6. bis ins 9. Jahrhundert, als das Abendland in einem Sumpf der Barbarei versank, trug die irische Kirche die Fackel der westlichen Zivilisation.

Mitte des 5. Jahrhunderts zum Christentum bekehrt, entkamen die Iren den teutonischen Horden, die es beinahe fertiggebracht hätten, die lateinische Zivilisation zu vernichten. Als im späten 8. Jahrhundert die Wikinger mit der Ausplünderung der grünen Insel begannen, war der Kontinent Nutznießer einer zweiten Welle von irischen Emigranten.

Verschiedene .Faktoren erklären die Einzigartigkeit der irischen Kultur: Die christliche Missionierung hatte schnell Erfolg, es gab in Irland deshalb auch keine Märtyrer. Und es gab auch keine Städte, was dazu führte, daß die bischöfliche Autorität von Klöstern aus wahrgenommen wurde. Die Bischöfe übten ihre sakramentalen Funktionen als Mönche aus, Klöster wurden zum Fundament der irischen Kirche.

Doch das Fehlen von Märtyrern führte die junge Kirche in Verlegenheit: Religiöse Begeisterung schlug in extreme Askese um. Äbte erlegten sich und den Mönchen so schwere Bußen auf wie nirgendwo sonst in der westlichen Kirche. Die Legenden der Selbstaufopferung erlauben Vergleiche mit den ägyptischen Einsiedlern.

Zu den strengen Bußen der sogenannten „weißen Märtyrer" Irlands gehörte das freigewählte Exil. Es war einer dieser im Exil Lebenden, nämlich Columban, der Irlands erster großer Missionar auf dem Kontinent wurde. Im frühen 7. Jahrhundert waren irische Mönche bis nach Island, Norditalien, Kärnten und Polen ausgeschwärmt.

Im Gegensatz zu den meisten Asketen zeichneten sich die Iren durch ein stetes Streben nach umfangreichem Wissen aus. Noch vor den dunklen Jahren des Frühmittelalters bekehrt, behielten sie ihre Kenntnisse in Griechisch und in der Mathematik. Das brachte sie in Konflikt mit den weniger gebildeten, aber besser organisierten Römern. Es gab Dispute über die richtige Datierung des Osterfestes, über die Prädestination und die Kosmographie.

Die Legende berichtet von einem päpstlichen Verweis an den Heiligen Virgil - den Apostel von Salzburg — der behauptete, daß die Erde rund sei und Menschen auch südlich des Äquators lebten. Eine Verrücktheit, soll der Papst entgegnet haben, wenn Menschen südlich des Äquators lebten, müßten sie von der Erde herunterfallen ...

Diese „irischen Jahrhunderte" sind voll der herrlichsten Legenden, so reich und geistvoll wie die sie überlebende Kalligraphie. Aber was ist der nüchterne Kern des irischen Anstoßes für Europa während dieser Jahrhunderte?

Wie Professor Joseph Kelly im zweiten Band des hier besprochenen Werkes meint, steckt das Studium der irisch-lateinischen Exegese als eine akademische Disziplin gerade erst in seinen Anfängen. In der Tat sind aber die 45 Aufsätze in diesem doppelbändigen Werk ein außergewöhnlich breitgefächerter, tiefschürfender Ausgangspunkt.

Zugrunde liegt den beiden Bänden ein internationales Kolloquium, das im September 1979 in Tübingen stattfand. Die dazu beitragenden. Wissenschafter stammten aus Deutschland, Osterreich, Irland, Italien, Frankreich und den USA.

Der wissenschaftliche Standard der einzelnen Arbeiten ist durch die Bank hervorragend und trotz der zurückhaltenden Einwendungen des Herausgebers ist dieses Werk nichts weniger als ein Pro-legömena des irischen Einflusses in Europa im frühen Mittelalter.

„Die Iren und Europa im frühen Mittelalter" sollten jedenfalls in keiner bewanderten Bibliothek fehlen, nicht zuletzt auch darum, weil dieses Werk ein hervorragendes Beispiel dafür bietet, wie fruchtbar internationale Zusammenarbeit gerade auch auf dem Gebiet der historischen Forschung sein kann.

DIE IREN UND EUROPA IM FRÜHEN MITTELALTER. (Zwei Bände) Hrsg. von Heinz Löwe. Verlag Klett-Cotta, Stuttgart 1110 Seiten, geb., öS 2.090.-.

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