Dieser FURCHE-Text wurde automatisiert gescannt und aufbereitet. Der Inhalt ist von uns digital noch nicht redigiert. Verzeihen Sie etwaige Fehler - wir arbeiten daran.
Auf dem Weg zur Normalität
Noch immer wird das Urteil gegen Fred Sinowatz diskutiert. Und das ist gut so. Hier geht es nämlich um Wahrheit - und die ist, als letzte Einfachheit, sehr kompliziert. Als ich in einem Gespräch sagte, daß Wahrheit von Mehrheitsentscheidungen unabhängig sei, und daß tatsächlich einer oder eine gegen 39 andere recht haben könnte, warf mein Gesprächspartner ein, er fürchte, hier sei ein politisches Urteil gefällt worden, und er erinnerte an den Schattendorfer Prozeß im Juli 1927, dessen Urteil zum Brand des Justizpalastes führte.
Dieses Trauma wirkt noch nach; doch vergleichbar sind die beiden Urteile wahrlich nicht. Damals herrschte eine Bürgerkriegsatmosphäre und rechtsradikale „Frontkämpfer", die bei einem Zusammenstoß mit Schutzbündlem einen arbeitslosen Invaliden und ein Kind erschossen hatten, wurden freigesprochen. Das Gericht fungierte tatsächlich als verlängerter Arm der Staatsmacht. Diesmal ging es um den ehemaligen Bundeskanzler einer Partei, die seit mehr als 20 Jahren an der Macht ist.
Hier könnte nun eingehakt werden, indem man den Urteilsspruch gegen den ehemaligen Parteisekretär der burgenländi-schen SPÖ als Denkzettel gegen Parteienhochmut und Parteienwillkür interpretiert, als richterlichen Racheakt gegen die Partei, die uns, in der Lesart dieser Version, den ganzen Waldheim-
Wirbel eingebrockt hat.
Wenn es so wäre, dann könnte man tatsächlich von einem politischen Urteil reden. Vielleicht aber ist alles ganz einfach: Ein Richter hat von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, eine Zeugin glaubwürdiger zu finden als 39 andere Zeugen. Das ist problematisch, aber der Grundsatz, „im Zweifel für den Angeklagten", kann nicht zum Zuge kommen, wenn der Richter diesen Zweifel nicht hat.
Es wirft auch kein gutes Licht auf unsere Demokratie, wenn dem Richter nun Mut bescheinigt wird; vielleicht sollte man dieses Urteil als Station auf dem Weg zur Normalität erkennen: Der Parteieneinfluß in Österreich geht zurück, das politische Leben wird entkrampfter. Franz Vranitzky ist ein Parteichef, der gewählt wurde, obwohl er Kandidat der SPÖ war, Jörg Haider steht für Jörg Haider und die ÖVP reformiert sich.
Josef Krainer, der in der Steiermark jetzt einen Wahlkampf führt, kommt in der Werbung ohne das ÖVP-Signet aus. Sachthemen spielen kaum mehr eine Rolle.
Es geht um Personen. Wer für die Privatisierung ist, ist für Josef Krainer, und wer gegen die Privatisierung ist, der ist auch für Josef Krainer.
So erspart man sich die Antwort, wofür der Kandidat ist. Die Politik wird immer entkrampfter und neutralisiert sieh allmählich selbst.
Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.
In Kürze startet hier der FURCHE-Navigator.
Steigen Sie ein in die Diskurse der Vergangenheit und entdecken Sie das Wesentliche für die Gegenwart. Zu jedem Artikel finden Sie weitere Beiträge, die den Blickwinkel inhaltlich erweitern und historisch vertiefen. Dafür digitalisieren wir die FURCHE zurück bis zum Gründungsjahr 1945 - wir beginnen mit dem gesamten Content der letzten 20 Jahre Entdecken Sie hier in Kürze Texte von FURCHE-Autorinnen und -Autoren wie Friedrich Heer, Thomas Bernhard, Hilde Spiel, Kardinal König, Hubert Feichtlbauer, Elfriede Jelinek oder Josef Hader!