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Beschlüsse von Helsinki sind ohne Abstriche einzuhalten

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Das Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK) setzte sich nicht dem Verdacht aus, in vordergründiger Tagespolitik aufzugehen, mochte dies am ersten Tag der Frühjahrsvollversammlung, die kürzlich in Bonn-Bad Godesberg tagte, auch so scheinen, als das ZdK sich mit der Folgekonferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa befaßte und nach intensiver Diskussion eine Erklärung zu den Menschenrechten verabschiedete. Der zweite Tag aber stand im Zeichen eines Problems, das die Kirche selbst betrifft: jener Religiosität, die sich abseits der Kirchen findet.

Verlorener Sinn

Es ist ja keineswegs so, daß mit dem stillen Auszug vieler aus den Kirchen das Interesse der Menschen an religiösen Fragen geschwunden wäre; Jesus ja, Kirche nein - Religion ja, aber abseits der überkommenen kirchlichen Form - diese Thesen beschreiben schlagwortartig die Situation. Dem ZdK und seiner Kommission „Pastorale Grundfragen“ unter dem Vorsitz des Augsburger Pastoraltheologen Professor Karl Forster kommt das Verdienst zu, diese „kirchendistanzierte Religiosität“ als Herausforderung für die Kirche und den Glauben begriffen zu haben; es ist ein Thema, das die kirchlichen Räte bald sehr intensiv beschäftigen wird.

Nicht an der Oberfläche täglich sich wandelnder Aktualität bleiben, sondern Zeiterscheinungen auf den Grund gehen, sich davon herausfor- dem lassen, das also ist Sache des ZdK. Es zeigte sich an der Stellungnahme zur beruflichen Bildung, die von der Vollversammlung verabschiedet wurde, in der die sozialen Bezüge und der ethische Wert von Arbeit und Beruf reklamiert werden: das ZdK forderte, daß mit der Abwertung beruflicher Bildung gegenüber einer auf Gymnasium und Universität erworbenen endlich Schluß sein müsse. Wie tief das Nachgehen, das Untertauchen unter Oberflächen, sein kann, demonstrierte das sprödeste der Themen dieser Tagesordnung, das deswegen nicht weniger wichtig war: die Auseinandersetzung mit dem mangelnden Geschichtsbewußtsein unserer Zeit. Das Abschneiden der Vergangenheit und die Verengung der Zukunft unter dem bloßen Nützlichkeitsdenken läßt Sinn verlorengehen. „Die Reduzierung menschlichen Tuns allein auf die Gegenwart widerspricht dem Wesen des Menschen“, heißt es an zentraler Stelle eines vorgelegten Konzeptes.

Menschenrechte

Es war im Grunde dieselbe Stoßrichtung -der Blick auf den Menschen — die auch die ZdK-Erklärung zu den Menschenrechten kennzeichnet. Leider wurde dies in der Diskussion etwas abgeschwächt, als die Ausrichtung auf die kommende Konferenz von Belgrad eindeutig ausgesprochen wurde; denn jetzt läuft die Erklärung Gefahr, bis Belgrad zu reichen, aber nicht mehr darüber hinaus. Es war dies zum Glück der einzige Punkt, an dem die ausgezeichnete Vorarbeit eines kleinen Expertenteams verschlechtert wurde; Einzelberatungen haben mit ihren kurzfristigen Änderungsanträgen eben doch ihre Probleme.

Ausgewogenheit zeichnete die Erklärung aus, wenn sie damit auch etwas schwächlich geworden war. Das vorbereitende Team hatte von unterschiedlichen Positionen her um jeden Satz gerungen. Das hieß nicht, daß irgend jemand die Frage gestellt hätte, ob die Vereinbarungen von Helsinki nun nicht einzufordem wären. Aber das Verhältnis zwischen der Mahnung an die Menschenrechte und der Souveränität können von einem Staat nicht vorgeschoben werden, um Menschenrechte zu mißachten; so steht eindeutig in der ZdK-Erklärung, daß die Berufung auf Helsinki keine Einmischung in innere Angelegenheiten eines anderen Staates sei, sondern die Wahrnehmung international verbürgter Rechte. Aber die recht verstandene Souveränität ist zugleich auch Garant für das Gemeinwohl in einem Staat und damit für die Verwirklichung von Menschenrechten. Wenn die Grundlage der Menschenrechte die Selbstbestimmung ist, darf Staatssouveränität nicht ausgehöhlt werden.

Wie es in diesem Spannungsverhältnis keine eindeutige Stellung geben mag, so auch kaum bei der Frage nach der Praxis. In der Diskussion wurden historische Perspektiven gezeichnet: Kardinal von Galen forderte offen die Achtung der Menschenrechte ein, während Kardinal Bertram durch diplomatisch stille Verhandlungen in gleicher Richtung wirken wollte. Für beide Positionen aber gilt, was der Bundestagsabgeordnete Alois Mertes in der Einführung zu dieser Erklärung des ZdK sagte: daß nämlich das Echo auf Helsinki von vielen, vor allem den kommunistisch regierten Staaten unerwartet, auch die deutschen Katholiken verpflichtet. Dies ist der tiefere Grund dafür, daß das ZdK Bundesregierung und Bundestag auffordert, auch künftig für die uneingeschränkte Einhaltung der Helsinki-Beschlüsse durch alle Signatarstaaten einzutreten.

In eine Richtung verdeutlichte dies der Präsident des ZdK, Bayerns Kultusminister Hans Maier, besonders; er sprach vom Verhältnis der deutschen Katholiken zu den polnischen. Anlaß war, daß Stanislaw Stomma, führendes Mitglied des „Znak“, Gast der Vollversammlung war. In seinem „Bericht der Lage“, der traditionell die Vollversammlung des ZdK einleitet, wies Maier darauf hin, daß die Liquidierung der „Znak“-Gruppe durch Entzug der wirtschaftlichen Basis und die Ersetzung durch die regimetreue „Odiss“-Gruppe den Beschlüssen von Helsinki zuwiderläuft, daß damit auch die Zusammenarbeit des Znak mit dem ZdK gefährdet und zugleich die „Verständigung zwischen dem deutschen und polnischen Volk erheblich“ behindert werde.

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