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Freut Euch!

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Ab sofort gibt es in Deutsch- land keine BRD und DDR, kei- ne Ossies und keine Wessies, auch keine Bundis und keine Zonismehr. UndÖsterreichmuß sich damit abfinden, daß man DDR und BRD nicht mehr ge- geneinander ausspielen kann.

Theoretisch sieht es auch bei uns in Bayern jeder ein, daß wir uns jetzt gefälligst zu freuen haben. Aber wir tun uns beim organisierten Jubel halt etwas schwerer als die Preußen.

Die spontane Freude über die Öffnung der ungarischen Gren- ze für die Flüchtlinge und spä- ter über den Mauer-Durchbruch und die Beseitigung des Sta- cheldraht-Zaunes ist längst verklungen. Und mit der jetzt per Bundestagsbeschluß für den neuen Nationalfeiertag angeord- neten Freude stellen sich leicht nationale Verkrampfungen ein.

Apropos amtlich verordnete Lustigkeit! Als Karl Valentin zum Münchner Faschingszug gegangen ist, hat er gesagt: „Neugierig bin ich, ob die mich zum Lachen bringen." Und ich bin jetzt neugierig, ob die in Berlin versammelten politi- schen Berufs-Euphoriker auch uns Bayern zum Jubeln brin- gen.

Mancher Österreicher mag sich denken, diese verklemmten Deutschen beklagen sich zuerst 40 Jahre lang über das Unrecht der deutschen Teilung und über die kommunistische Unfreiheit ihrer „getrennten Brüder und Schwestern ". Aber jetzt machen sie Gesichter wie bei einer Muß- Ehe mit dem Gewehr des Schwiegervaters im Rücken.

Es wäre aber zu primitiv, die- se etwas in unseren Hälsen stek- kengebliebene Freude allein mit Angst vor den Kosten und einer neidischen Unlust am Teilen zu erklären. Man könnte eher sa- gen: Die Deutschen in Ost und West sind einfach erschrocken über das Ausmaß der vom SED- Regime hinterlassenen Kata- strophe.

Honneckers Erbe besteht aus einer politisch terroristischen Stasi-Hydra mit endlos nach- wachsenden Köpfen, einer ma- roden Industrie, einer qualita- tiv miserablen Ausbildung der Arbeitskräfte, einer abbruchrei- fen Wohnsubstanz, einer Wis- senschaft von vorgestern und einer kaputten Umwelt. Dies alles ist natürlich nach und nach zu reparieren, abernichtwiedie ehemaligen DDR-Bürger erwar- ten-gleich bis übermorgen. Vor allem haben die meisten drüben immer noch nicht begriffen, daß ihre sozialen Probleme nicht dadurch zu lösen sind, daß wir ihnen Bankomatkarten auf unsere Konten schicken.

Jetzt halten sie uns für nei- disch und geizig und wir sie für undankbar, unverschämt und maßlos in ihren Ansprüchen. Wir haben beide gemerkt, daß wir politisch und wirtschaftlich zwei Sprachen sprechen. Der Weg von der staatlichen Einheit zur wirklichen nationalen Ein- heit ist noch weit und braucht mehr als nur den Tagesbefehl: „Freut Euch-undzwarsofort!"

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