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Libanon: Die Toten klagen an
Das Rattern der Kalaschnikows, die berstenden Häuser, die einstürzenden Balkone, jetzt auch noch die orangen Blitze der „New-Jersey"-Kanonen, die Sirenen von Feuerwehren und Ambulanzen, das Schluchzen der Frauen: Ist all das nicht in Beirut schon zur Gewohnheit geworden?
Was derzeit in der Hauptstadt ;ines sterbenden Landes geschieht, ist dennoch ärger als alles bisher Gehabte: brutaler, unmenschlicher, barbarischer noch, weil niemanden mehr Leid, Schmerz und Tod zu kümmern scheinen.
Mit der Stadt stirbt der Staat, stirbt die Politik des Präsidenten Dschumayel und die Politik des Präsidenten Reagan und die Politik des israelischen Ministerpräsidenten und die Politik des saudiarabischen Königs - alles geht zugrunde, aber das Sterben von Strategien wäre hundertmal erträglicher als das schuldloser Menschen. Es sterben aber ihrer Tausende. Wofür?
Für den unabhängigen Staat Libanon, der nach 23jähriger französischer Treuhandverwaltung 1943 gegründet worden ist. Maronitische Christen und sunnitische Muslime teilten sich damals die Herrschaft; die schiitischen Anhänger Muhameds ließen sie mitnaschen. Die Willkür dieser Konstruktion sollte ein Natterngezücht gebären.
1932 waren die Christen als stärkste Religionsgemeinschaft ermittelt worden. Seither gab es keine Volkszählung mehr. Inzwischen dürften die Muslime sie zahlenmäßig deutlich überholt, innerhalb dieser aber wieder die Schiiten die klare Mehrheit gewonnen haben.
Die möglicherweise auf 40 Prozent angewachsenen Schiiten haben in Nabih Berri einen geschickten Führer, in Chomeini einen fanatischen Förderer, im linksradikalen Drusenchef Walid Dschumblatt einen Verbündeten, in Syrien einen Drahtzieher und in Moskau einen Nutznießer gefunden. Das schon durch das Einströmen Tausender PLO-Usurpa-toren in den Jahren 1948,1967 und 1971 gestörte Gleichgewicht ist damit endgültig flötengegangen: Der Staat kracht in seinen Fugen.
Schuld daran sind auch diverse Christenführer, die ihre Macht zur Austragung von Stammesund Familienfehden mißbrauchten, statt Versöhnung und Frieden zu stiften. Zur Chaotisierung trug Israel mit seiner Invasion von 1982 ebenso bei wie die Regierung Reagan, die Plan um Plan entwickelte, aber nur halbherzig betrieb.
Die Zeche bezahlt, wieder einmal, ein seit Jahren verblutendes Volk. Die geopolitische Schlüsselrolle Syriens ist nun einmal nicht zu bestreiten. Wem dazu nichts als neuer Kanonendonner einfällt, der ist kein Anwärter auf einen Preis für politische Phantasie.
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