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Die in der Anthologie vertretenen Namen - zum Beispiel Arn-fried Astel, Ludwig Fels, Günter Herburger, Michael Krüger, Luise Rinser, Klaus Staeck, Peter Paul Zahl - lassen keinen Zweifel, in welcher Richtung der Herausgeber bei der Auswahl der Autoren blickte. Stellvertretend für die vorherrschende Einstellung läßt sich Klaus Stiller zitieren: „Ich habe mir dieses Land nicht ausgesucht. Und hätte ich es mir aussuchen können, ich hätte es mir nicht ausgesucht.“

Wer den Namen Klaus Stiller bisher nicht kannte, den belehrt die Biobibliographie des Bandes, daß der 1941 in Augsburg Geborene in Westberlin lebt und u. a. folgende Bücher veröffentlichte: Tagebuch eines Weihbischofs, 1972, Die Faschisten, 1976, Traumberufe, 1977.

In dem Beitrag von Angelika Mechtel fällt das Stichwort, das seine Gültigkeit hat für die meisten der hier vereinigten Texte: Vaterlandsneurose: „Was soll ich schreiben von meiner Vaterlandsneurose, nichts anderes im Kopf, als auf und davon zu gehen, lieber heute als morgen, mit kleinem Gepäck, wo ich doch längst den Hintern nicht mehr hochkriege am Schreibtisch, verwurzelt in diese Muttersprachenmaschine, den Kopf voll schöner Gedanken von Aufruhr.“

Daß manche Beiträge schwer verständlich sind - wen wundert's! Als Beispiel sei der in Werl einsitzende Häftling Peter Paul Zahl genannt, der zwischen 1974 und 1977 laut Biobibliographie sechs Publikationen verzeichnen konnte.

In seinem Text stößt man auf die vier geheimnisvollen Buchstaben fdGO („freiheitliche Profite / demokratische profite / gründliche profite / ordentliche profite: fdGO. draußen im land / anheimelig stammheimelig exportabhängig“), sie stehen, wie sich erraten läßt, für die freiheitlich demokratische Grund-Ordnung der BRD.

Aus den Beiträgen der DDR-Autoren (mehr unbekannte als bekannte Namen) ragt Rolf Schneiders Skizze „Die Grenze“ heraus, sie handelt von jener

Grenze, die den Harz mitten durchschneidet.

Schneider verfolgt in dieser deutschen Landschaft Situation und Tragik des zweigeteilten Deutschlands in der historischen Entwicklung von dreißig Jahren, und seine verhaltene aus persönlicher Anschauung gespeiste Sprache geht gerade in ihrer sachlichen Kühle unter die Haut: „Zur Brockenspitze fahren keine Züge mehr. Die Gleise sind rostig. Zwischen den Holz- oder Betonschwellen wachsen Gräser. Am Ortsausgang Oberschierke steht die Kaserne der Grenztruppen. In den Hundezwingern lärmen die nicht im Einsatz befindlichen Tiere. Es riecht nach verfaultem Fleisch. Der Wurmberg mit intakter Sprungschanze ist hier nahe. Er ist bereits anderes Land.“

Von westdeutscher Autorenprominenz kommen unter anderem Peter Härtling, Uwe Johnson, Karl Krolow und Luise Rinser zu Wort. Von Luise Rinser läßt sich nichts anderes erwarten als Äußerungen wie diese über ihre Verdächtigung als Sympathisantin der Terroristen: „Unter einer CDU-CSU-Regierung wäre ich zweifellos nach Filbingers und Konsorten Willen ins Gefängnis gekommen. Mit Kontaktsperre.“

Peter Härtling findet in „Drei Kalendergeschichten aus meinem Land“ den Weg zu einer dichterischen Gestaltung des Themas Deutschland, und Uwe Johnsons Erinnerung an eine Alltagsbegegnung auf einer englischen Kanalinsel ist ein menschlich eindrucksvolles Zeugnis seiner immer wieder bewundernswerten Sensibilität.

Bei Karl Krolow heißt es: „Wer in echogünstigen Gegenden Deutschland ruft, bekommt eine immer andere Antwort. Das ist das entschieden Originelle und Gefährliche und manchmal Menschliche an dem Wort mit den zwei Silben.“ Daß das Echo in dieser Anthologie keinen breiten Spannungsbogen hat, ist durch die Auswahl der Autoren gewollt angelegt.

DEUTSCHLAND, DEUTSCHLAND! 50 SCHRIFTSTELLER AUS DER BRD UND DER DDR SCHREIBEN ÜBER IHR LAND! Residenz Verlag Salzburg, 338 Seiten, öS 262,60

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