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Keine Dritte Kraft

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San Franzlsko, im Juni 1952

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San Franzlsko, im Juni 1952

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Die amerikanische Demokratie zeigt ein anderes organisches Wesen, als wir sie Europäern zuzumessen gewohnt sind, Wollen wir sie definieren, so stoßen wir gleich auf die Tatsache, daß die beiden amerikanischen Parteien keine Parteien nach unserem Begriff sind; Parteien mit Programm, mit Mitgliedskarteien und mit einer weitgehenden Disziplin. Eines der Symptome, die das amerikanische öffentliche Wesen kennzeichnen, ist das ständige Mißlingen des Versuches, eine dritte Partei zu gründen.

Warum war er bisher im vorhinein zum Scheitern verurteilt? Warum lebt die amerikanische Demokratie nur von dem Bestand zweier Parteien?

„Beide der traditionellen zwei amerikanischen Parteien — der Demokraten und der Republikaner — sind nichts anderes als ein trügerisches Schauspiel und entbehren jeder fundamentalen Ideologie", erklärte kürzlich in Chikago ein sozialistischer Führer, der in der Zeit der Wahlvorbereitungen wieder einmal versucht, für eine dritte Partei zu werben. Dies Argument wird immer wieder von allen jenen Kreisen vorgebracht, die sich um eine dritte Kraft in den Vereinigten Staaten bemühen. Warum also versagte es?

Man muß die Vereinigten Staaten als das sehen, was sie sind: ein riesiges Mosaik verschiedener Sternchen. Ein gewaltiges Zusammenspiel der extremsten rassischen, kulturellen, klimatischen, religiösen und wirtschaftlichen Komponenten. In einem derartigen Staatsgebilde war das Zentralproblem der Politik immer nur die Sudie nach einem Weg, viele entgegengesetzte Gruppen zusammenzuhalten. Keine dieser Gruppen war stark genug, viele ander- sich einzuverleiben. Das Ziel konnte nur durch Kompromisse erreicht werden. Es gibt aber kein Kompromiß, wenn darüber auch nur der leiseste Schein von Drohung oder Zwang liegt. Daher verlangt jede lebenswichtige Entscheidung in den USA ein Übereinkommen vieler daran interessierter Gruppen. So hätte 6chon keine Entscheidung gegen die Sklavenhalter gefällt werden können ohne Zustimmung der Sklavenhalter selbst, da sie sonst bei jeder anderen Entscheidung ihr Veto eingelegt hätten. Man mußte ihre Interessen gewinnen, man mußte ihnen selbst die Augen öffnen und sie selbst für die Abschaffung der Sklaverei stimmen lassen. Und so ist es noch heute. Solange nicht jede Interessengruppe die Interessen der übrigen Gruppen toleriert, gibt es keine Entscheidungen von Tragweite.

Ausdruck dieser traditionellen amerikanischen Demokratie ist die Arbeit des Kongresses. Jedesmal, wenn im Kapitol in Washington ein neues Gesetz durchgedrückt wird, kann man feststellen, daß der Kongreß nicht die Arena zweier getrennter Gesinnungsparteien ist, sondern von sogenannten Blöcken, Interessen-gruppen, deren es zahlreiche gibt. In diesen Blöcken, wie zum Beispiel dem Block der Farmer, dem Block der Freunde der Arbeiter, dem Block der Mittelwest- Isolationisten, dem Silberblock usw., kreuzen sich die Komponenten der Parteien, die in der gesetzgebenden Körperschaft der USA, wenn überhaupt, nur eine ganz untergeordnete Rolle spielen. Sie sind nur lose organisiert, und die Grenzen zwischen ihnen sind äußerst verschwommen, so daß jedes Kongreßmitglied ausschließlich seinem Block — oder, wie es häufig vorkommt, daß es gleichzeitig mehreren Blöcken angehört und dient. Die Blöcke hängen untereinander zusammen und bilden wiederum Interessengemeinschaften und Gruppen. So kommt es zur Bildung der „politischen Maschinen“, jener weit verzweigten und verästelten Interessenverbundenheit im amerikanischen politischen Leben, die wir Europäer leicht mißdeuten.

Diese Art der Demokratie ist das natürliche Ergebnis des Zusammenspieles so zahlreicher Kräfte in diesem Staat. Das amerikanische Kabinett ist denn auch das einzige in der Welt, welches seine Mitglieder gesetzlich verpflichtet, Spezialinteressen, wie zum Beispiel

Schwerindustrie, Landwirtschaft, Handel usw., zu vertreten.

Wir sehen also im amerikanischen politischen Leben ein Übergewicht der realen Interessen der verschiedenen Gruppen dieses ausgedehnten Komplexes von 48 Staaten, von denen jeder für sich durchschnittlich fast zweimal so groß wie

Österreich ist. Wir sehen das Zusammenspiel dieser auseinanderstrebenden Anschauungen als ein Ergebnis zahlloser Kompromisse, die nur möglich sind, weil keine Grenze zwischen den beiden Parteien eine Verständigung erschwert.

Solche Parteien aber können nur Parteien ohne Dogma und Ideologie sein. Sie sind nur die lose Vereinigung traditioneller Gruppen und lassen ihre Umrisse nur dann aufleuchten, wenn es gilt, in den Wahlkampf zu ziehen. Aber auch dann lassen sie sich in keine Skala europäischer Parteien von der extremsten Linken bis zur extremsten Rechten einreihen, sondern sind politische Gebilde, in denen Bauern und Industriearbeiter, Arme und Reiche, Katholiken und Protestanten nebeneinander stehen können.

Weil die Ideologie unseres politischen Lebens der amerikanischen Demokratie wesensfremd und dem Empfinden des Amerikaners entgegengesetzt ist, hat es in den USA noch niemals eine erfolgreiche dritte Partei gegeben. Weder die Kommunisten noch die Sozialisten, weder religiöse Gruppen oder faschistische Strömungen werden in den USA auf lang- hinaus absehbare Zeit eine dritte Kraft bilden können. Würde es aber gelingen, dann wäre es wahrscheinlich ein Unglück für diese Nation, die der übrigen Welt zeigt, wie man so verschiedene Völker und Rassen in demokratischem Geist Zusammenhalten und zum Wohlstand führen kann.

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