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Parteidisziplin und Gewissensfreiheit

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Ein in kräftigen Widersprüchen sich vollziehende Auseinandersetzung, die jetzt im Lager der Democristiani Italiens im Gange ist, hat auch für Österreich im Hinblick auf die kommenden Wahlen und die zum Wahl- gang antretenden Parteigestaltungen Aktualität. Die jetzt in Italien geführte Debatte erhielt ihren Anstoß durch Meinungsverschiedenheiten, die gewitt „ Nadi-wirkungen des Faschismus in dem Parteileben des neuen Staates mit Recht oder Unrecht zugeschrieben werden. Die Auseinandersetzungen erwecken auch deshalb Aufmerksamkeit, weil in ihnen neben dem Kammerpräsidenten Gronchi, einem alten Kämpen noch aus den Reihen der katholischen Popolari des Regno, Don Sturzo Stellung nimmt, der Cato für die junge christlich-demokratische Partei, der sich jetzt mit einer eigenen Wochenschrift „La Via“ vernehmlich macht, also mit dem Willen, Wegweiser zu sein. Wo hat das Recht der Partei und ihrer Leitung Grenzen, wo beginnt die Freiheit des einzelnen Abgeordneten gegenüber der Disziplin der Partei? Darum geht das mit italienischem Temperament geführte Gespräch.

Gewisse Episoden in dem weiten Gefüge der politischen Häuslichkeit der Partei De- gasperis haben führende Parlamentarier, den Abgeordneten Domenido und den gewesenen Parteisekretär Piccioni, zu Ordnungsrufen gegen Parteiabgeordnete veranlaßt, die bei Abstimmungen aus der Reihe tanzen und der Stellungnahme der Mehrheit widersprechen; sie halten es für eine Pflicht, daß der einzelne Abgeordnete und Senator sich an die Parole der Partei, die vom Parteivorstand ausgegeben wurde, halte; es gehe nicht an, daß in Abstimmungen die einen eine Gesetzesvorlage bejahen, die anderen sie mit einem Nein bekämpfen. Don Sturzo, ein wenig grollend auf seinem Altensitz, hält dem entgegen: Eime strenge Bindung der Parteimitglieder nehme einer Partei die notwendige geistige Bewegung, den kräftigen Elan, führe zu Gliquenbildung und unsichtbaren und doch wirksamen Sprüngen im politischen Organismus der Partei. Nicht das Parteisekretariat, sondern das Gewissen sei die letzte Instanz auch auf dem Parkett des Parlaments. Die Erfahrung zeige an den sozialistischen Parteien, daß die größte Gebundenheit zu innerer Erstarrung und tödlicher Schwäche führe.

Diese Kontraste innerhalb der Democristiani, die in diesen einleuchtenden Gedankengängen aufscheinen, bleiben keiner jungen großen Partei erspart; auch die katholische Volkspartei Frankreichs, das MRP, hat mit ihnen ringen müssen. Den nüchternen Notwendigkeiten ist nicht mit einer einfachen Formel auf den Grund zu kommen. Jedes Reich, das in sich uneins ist, wird zerstört werden. Das gilt auch für die politischen Parteien. Ihre innere Geschlossenheit, nicht begründet auf Diktaten, ondern gemeinsamen Überzeugungen in den Wesenheiten, ist Lebensnotwendigkeit vor allem einer Gemeinschaft, die für ein so großes Gut, wie es das Gemeinwohl ist, ihre Kraft einsetzen will. Auch i h r Grundgesetz entspricht dem Satz, den einst das deutsche Zentrum Wimdthorsts und Hermann von Mallinckrodts als seine Fundamentalregel auf seine Fahne schrieb: In necessariis unitas, in dubiis libertas — „Im Notwendigen die Einigkeit, im Zweifelhaften die Freiheit“. Und das dritte soll niemals fehlen: In Omnibus caritas. Es wäre schlimm um ein parteipolitisches Gebilde bestellt, in dem die Meinungsverschiedenheiten so weit gehen können, daß sie kn Hauptsächlich nicht auf die gleiche Ebene gebracht werden können. Wäre es soweit, so wäre die Trennung besser als das Weiterschleppen einer Unwahrheit, das Vortäuschen eines politischen Bestandes, dem der geschlossene Wille fehlt. Deshalb ist es für jedes Parteiwesen von so großer Wichtigkeit, daß es rechtzeitig seine innere Einheit sichere, die einzige legitime Begründung und Garantie der Diszipl in, die es von seinen Mitgliedern in allen Angelegenheiten von grundsätzlichem Belang fordern muß. Voraussetzung einer starken Partei ist echte Gesinnungs- und Grundsatzgemeinschaft. Wo diese Voraussetzung besteht, wird die Gewissensfreiheit schwerlich je in Betracht kommen.

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