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Die Generation der Sehnsucht

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LEHRER: „Die Frage ist, wie kann man die Richtung weisen?“

MARTIN BUBER: „Ich weiß nicht, wie man es machen kann. Es gab Leute, die selbst die Situation schaffen wollten. Ich sprach über die Generation der Sehnsucht — sie ist noch in ihrem Anfangsstadium. Meiner Ansicht nach ist unsere Generation eine Übergangsgeneration. Man muß noch Jahre, vielleicht drei Generationen warten, bis das Leben eine neue Form erhält. Ich erinnere mich noch an die Frage, die Minasterpräsident Ben Gurion an uns stellte, wie man die Nation gestalten kann. Ich erwiderte: Man kann keine Nation gestalten. Etwas wird geschaffen. In der Unzufriedenheit befindet sich ein Samen, der heilige Samen, doch braucht er Zeit.“

LEHRER: „Wer helfen will, muß richtig helfen.“

MARTIN BUBER: „Hilfe ist eine ► schwere Angelegenheit. Die Hauptsache ist, dem Schüler zu ermöglichen, allein zu denken. Die richtige Situation zu erkennen, nach seinen Möglichkeiten — das ist die Angelegenheit der Erziehung. Das .nennt man wahre Unabhängigkeit.“

LEHRER: ..Vielleicht j -sogar zur Auflehnung rufen?“

MARTIN BUBER: „Ich würde eher sagen, passive Resistenz des Bürgers. Zum Beispiel in der heutigen Situation, die Atombombe mit alldem, was damit verbunden ist. Es gehört ein gewisser Ungehorsam dlazu ... Ich

Jkt dies in den Händen der Politiker assen kann. Schließlich beruht ihr ;anzes Tun auf Fiktionen, nicht auf Jen wahren Interessen der Völker. Die nteressen des wahren Lebens sind licht ideologischen oder politischen Zharakters, sondern wahre Interessen, Jenen sie (die Politiker) keine Beach-:ung schenken.“

EINER DER LEHRER: „Wie kann r.an das machen?“

MARTIN BUBER: „Nehmen wir an, laß der Lehrer haben will, daß man licht lügt... Meiner Ansicht nach nbt es zwei entgegengesetzte große Kräfte: die Erziehung und die Propaganda. Die Erziehung muß entscheiden. Js ist ein schwerer Weg. Hier das langsame Tempo und bei der Propaganda das übereilte Tempo der Presse und des Radios. In der Geschichte gibt ss ein langsames Tempo. Es ist die Geschichte der wahren Kraft. Wenn die Frage gestellt wird: Krieg oder Frieden, werden Sie nicht Krieg wählen.“

EINER DER LEHRER: „Sicher nicht.“

MARTIN BUBER: „Das heißt nicht, daß Sie Frieden unter allen Bedingungen wollen

Zweieinhalb Stunden dauerte die Unterredung, sie hätte noch endlos fortgesetzt werden können. Zum Schluß lehnte sich der greise Philosoph erschöpft in seinen Lehnstuhl zurück. Die Lehrer entfernten sich betreten und grüßten ihren Freund und Mentor mit dem Gefühl, daß diese anfangs harmlose Unterhaltung zu den großen Stunden ihres Lebens gehört.

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