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Die Grenzen des Dialogs zwischen Juden und Christen

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Martin Buber erzählte einst selbst eine Episode: „Es war ein Vortrag von Edmund Hus-serl angekündigt, den ich hören wollte. Ich kam in den Saal; irgend jemand von der Philosophischen Gesellschaft erkannte mich, und sogleich wurde ich an eine Art von Vorstandstisch beordert. Als Husserl erschien, begrüßte er uns noch rasch, ehe er aufs Pult ging. Ich sagte: ,Buber'. Er stutzte einen Augenblick und fragte zurück: ,Der wirkliche Buber?' Ich zögerte mit einer weiteren Erklärung. Darauf Husserl: , Aber das gibt es doch gar nicht! - Aber Buber - das ist doch eine Legende!'“ Diese Anekdote illustriert besser als tausend Worte den ungeheuren Be-kanntheits-, ja Berühmtheitsgrad, den Buber bereits im Deutschland der zwanziger Jahre besaß. Wer wie Buber bereits in der Mitte der Vierzigerjahre seines Lebens zur Legende geworden ist, wer, fünfzigjährig, zum Gegenstand einer umfangreichen Biographie werden konnte, der steht nach seinem Tod mehr denn je in Gefahr, vollends in mythische Ferne entrückt zu werden.

In der Tat trägt unser Buber-Bild meist weitgehend mythologische Züge. Halb Moses oder alttestamentli-cher Prophet, halb Renaissancemensch - eine Gestalt voll respektgebietender Urkraft Buber, der „Homo religiosus“, der Entdecker gründender Wirklichkeit, der Verkünder eines neuen vollkommenen Menschentums, der geistige Erneuerer des Judentums: vielfältig sind die Buber-Bilder, um nicht zu sagen Buber-Klischees, die dieser schon zu Lebzeiten legendären Gestalt schärfere Konturen verliehen werden sollen, ohne daß die gängigen unterscheidenden Bezeichnungen wie Philosoph, Theologe, Prophet und Dichter auf diesen „HOMO UNIVERSALIS“ zutreffen würden.

Buber war dies alles bis zu einem gewissen Grade, aber er war noch weit mehr. Vor allem war er ein Mann des Wortes, dem sich in der Sprache unmittelbar Wirklichkeit erschloß, ein Meister des deutenden Verstehens, der immanenten Hermeneutik, und nicht zuletzt war Buber der geistige Repräsentant des zeitgenössischen Judentums. Sosehr in den letzten Jahren seine Popularität etwa in Frankreich durch Gabriel Marcel und Emmanuel Levinas oder im angelsächsischen Bereich durch Maurice Friedman und Walter Kaufmann gewachsen ist, so wenig wird man übersehen können, daß Buber im Grunde der deutsche Jude geblieben ist. Bubers früh verstorbener Freund Franz Rosenzweig sagte: „Martin Buber ist, ohne es zu wollen, der vom geistigen Deutschland anerkannte deutsche Jude geworden.“

In der Tat hat seit Moses Mendel-sohn kein jüdischer Denker auf das deutsche Geistesleben einen so nachhaltigen Einfluß ausgeübt wie Martin Buber. Im Unterschied zu Mendel-sohn, dessen Judentum stark rationalistisch und universalistisch geprägt war, lenkte Buber jedoch die Aufmerksamkeit seiner nichtjüdischen Umwelt auf das geistige Leben des östlichen, nichtassimilierten Judentums und wurde so zum großen Vermittler zwischen den beiden Welten. Gerade als „Erzjude“, als der er sich immer verstanden hat, ist es ihm gelungen, nicht nur als Mensch und überragender Denker, sondern auch als Jude ernst genommen zu werden und für sein Judentum gerade bei den Gebildeten unter seinen Verächtern Interesse und Anteilnahme zu erwecken.

Baruch Spinoza, Heinrich Heine, Karl Marx, Sigmund Freud, Hermann Cohen sind gewiß aus dem nichljüdi-schen Geistesleben nicht mehr weg-

• In diesem Jahr wird die Forschung in Österreich rund 10,7 Milliarden Schilling ausgeben können. 40 Prozent dieser Ausgaben entfallen auf den Bund, 12,33 Prozent auf die Bundesländer, 47,21 Prozent kommen aus der Wirtschaft, 0,75 Prozent aus verschiedenen Fonds. Die vom Bund bereitgestellten 4,23 Milliarden Schilling kommen zu zwei Dritteln der Hochschul- und hochschulverwandten Forschung zugute (etwa 14 Prozent entfallen auf staatliche Forschungseinrichtungen und Museen, knapp ebensoviel auf die wirt-schaftsbezogene Forschung, schließlich vier Prozent auf forschungswirksame Zahlungen an internationale Organisationen.zudenken. Doch ihr Jude sein war entweder Gegenstand antisemitischer Polemik, oder es wurde als unwesentlich ignoriert, um sie ungehindert in den geistigen Prozeß der Epoche integrieren zu können. Ganz anders Buber, der gerade als Deutscher und in deutscher Sprache meisterhaft schreibend, sein Judentum für seine Umwelt zum Thema machte und ihnen immer wieder einschärfte, man könne seine Äußerungen nicht als einen allgemeinmenschlichen Beitrag im Ringen um Wahrheit nehmen, sondern müsse gerade das spezifisch Jüdische an ihm zur Kenntnis nehmen, um erfassen zu können, was in seinem Denken allen Menschen zugedacht wird.

Ob Buber in diesen Vermittlungsbemühungen über die Erweckung eines unverbindlichen intellektuell-ästhetischen Interesses hinaus Erfolg hatte oder ob am Ende Gershom Scho-lem recht hat, wenn er den deutsch-jüdischen Dialog als ein tragisches Mißverständnis, als Monolog innerhalb des deutschen Jugendtums bezeichnet, mag dahingestellt bleiben. Tatsache ist: Bubers eigentliche Lebenstragik bestand darin, daß seine Ideen über die geistige, politische und soziale Erneuerung des Judentums im gelobten Land Palästina und auf dem Boden des Staates Israel bei weitem nicht jenen Widerhall fanden, den er sich erhofft und erwartet hatte, und unter dem Druck der harten politischen Notwendigkeiten die Entwicklung eine Richtung nahm, die in vielem Bubers Vorstellungen über die mes-sianisch-politische Existenz des jüdischen Volkes diametral entgegengesetzt war. Seine Tragik war, daß man ihn zwar als bedeutenden und insbesondere im Westen hochgeschätzten Denker des Judentums respektierte, gleichzeitig aber seine theopolitischen Ideen, die die politische und staatliche Existenz Israels unerbittlich unter den Anspruch der religiösen, menschheitlichen Mission des jüdischen Volkes stellten, als romantischen Utopismus, ja als realpolitisch nicht ungefährliche Schwärmerei beiseite schob.

Buber hat unter dieser Isolierung sehr gelitten, und manche sprechen in diesem Zusammenhang treffend nicht nur von Bubers Kampf um Israel, sondern auch von seinen „Leiden um Israel“. Gewiß wies Bubers politische Theologie, sein mes-sianischerj Zionismus gewisse Schwächen auf, die mit seiner zentralen philosophischen Intuition zusammenhängen. Trotzdem stellt dieser Mes-sianismus für die zionistische Bewegung solange eine echte Herausforderung dar, als sich diese nicht endgültig als ein Nationalismus wie jeder andere versteht und der Staat Israel an seiner religiösen, nicht rein säkularistischen Grundlage festhält

Natürlich kann man sich die Sache dadurch leicht machen, daß man den Weg des geringsten Widerstandes geht und diesen wesentlichen Aspekt des Buberschen Denkens einfach ausklammert. Das ist beim Martin-Buber-Jubiläumskongreß der Ben-Gurion-Universität in Beer Sheva - in der Wüste des Negev - geschehen - mit dem Effekt allerdings, daß die vom Veranstalter tabuisierte Frage schließlich doch in einer recht unliebsamen Auseinandersetzung zwischen dem Mentor des Kongresses, Prof. Jo-chanan Bloch, und Prof. Helmut Gollwitzer zum Durchbruch gelangte. ,

Als Gollwitzer die Prophezeiung wagte, daß Bubers Vorstellungen über das Zusammenleben von Juden und Arabern ä la longue die einzige realistische Zukunftsperspektive darstelle und ihm noch dazu die Unvorsichtigkeit unterlief, im Hinblick auf bestimmte, von Buber verurteilte Tendenzen das Naziwort vom „Herrenvolk“ zu verwenden - freilich in einem völlig korrekten und unverfänglichen Kontext -, ward er von Bloch mit schneidender Schärfe der unerlaubten Einmischung in innerjüdische Belange bezichtigt. Aber auch ganz abgesehen von diesem bedauerlichen, ganz

Aber auch ganz abgesehen von der leidigen Frage des Zionismus wird man diesem Jubiläumskongreß anläßlich des 100. Geburtstages von Martin Buber den Vorwurf einer gewissen Einseitigkeit nicht ersparen können. So wurden Bubers chassidische Schriften sowie seine monumentale Bibelübersetzung nur am Rande, seine eminente Bedeutung als Volkserzieher überhaupt nicht gewürdigt. Hingegen wurden zwei Themenkreise, die offensichtlich Bloch in besonderer Weise liegen, in breitester Ausführlichkeit behandelt: Bubers Verhältnis zum Christentum und seine Rolle als Initiator des Christlich-jüdischen Dialogs sowie Bubers dialogisches Denken, wie es in dem 1923 veröffentlichten Werk „Ich und Du“ grundgelegt wurde.

Nun wird man zugeben müssen, daß gerade dieses Werk in Bubers geistiger Entwicklung einen zentralen Stellenwert besitzt, ja daß es durchaus legitim ist, von da aus das überaus vielseitige Schaffen dieses außerordentlichen Denkers zu deuten. Hier liegt auch der Grund für Bubers enormen Einfluß auf die nichtjüdische und speziell christliche Welt.

Mögüchkeit und Chancen, aber auch die Grenzen des christlich-jüdischen Dialogs sieht Gollwitzer in Bubers Lehre vom Verstehen grundgelegt, der seiner Meinung nach ein tiefer immanenter Widerspruch innewohnt. Auf der einen Seite bedeutet Verstehen im Sinne Bubers keineswegs An-gleichung oder gar Identität der beiden Partner. Der andere wird nicht zum Alter ego, vielmehr bleibt seine .Andersheit voll Und ganz bestehen, ohne daß er deswegen für mich zum Fremden wird, der mich nichts angeht.

Dialogisches Verstehen hieße aber, daß der Christ das Judesein und der Jude das Christsein mitvollzieht, ohne daß beide aufhören, Jude oder Christ zu sein oder sich in einem Mittleren zu treffen. Andererseits betont Buber, daß es in der jüdischen Existenz geschichtlich bedingte Gegebenheiten gibt, die dem Christen immer fremd und unzugänglich bleiben werden, und dasselbe gelte vice versa.

Jochanan Bloch hat diese Einschränkung noch verschärft, als er etwas überspitzt von den „facta bruta“ der Thora und des Glaubens an Christus als Gott sprach, in dem sich Christen und Juden immer fremd bleiben werden. Hier war in der Tat eine starke Reserve gegenüber den gewiß gut gemeinten Verständigungsbemühungen der christlichen Seite zu spüren, ein sichtliches Beharren auf der eigenen Partikularität und nicht zuletzt die Angst, von den Christen unter dem Deckmantel des religiösen Universalismus vereinnahmt zu werden.

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