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Selbstbesinnung in unserer Zeit

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WO STEHEN WIR HEUTE? Mit Beiträgen von Max Bom, Martin Buber, Hans Freyer, Friedrich Heer, Hermann Heimpel, Karl Jaspers, Arthur Jores, Ernst Jünger, Klaus Mehnert, Max Picard, Josef Pieper, Adolf Portmann, Emil Preetorius, Wilhelm Röpke, Helmut Schelisky, Albert Schweitzer, Eduard Spranger, Helmut Thie- licke, Frank Thieß und Arnold Toynbee. Herausgegeben von H. Walter Bäh r. C.-Bertelsmann-Verlag, Gütersloh 1960. 256 Seiten. Preis 16.80 DM.

Unter der Devise „Wo stehen wir heute?“ läßt der Herausgeber H. Walter Bähr zwanzig profilierte Persönlichkeiten des geistigen und kulturellen Lebens zu Worte kommen. Sie ziehen, jeder von seinem Standpunkt au eine Bilanz, die nicht nur Einblick in die."‘ unser Zeitgeschehen bestimmenden Strömungen gewährt, sondern vor allem auch deren Problematik im Hinblick auf das durch diese Kräfte umgestaltete Weltbild durchleuchtet. E iese Umformung des Weltbildes, die sich gleicherweise auf die soziale Struktur und deren Lebensformen wie auf alle Bereiche der Wissenschaften auswirkt, stellt sich letzten Endes als eine Krisis, als eine Wende dar, die zu Aufstieg oder Untergang führen kann.

Der in Tübingen wirkende Philosoph Eduard Spranger weist in seinem Beitrag auf die zunehmende Sinnentleerung des abendländischen Kulturgefüges hin und stellt in diesem Zusammenhang fest, daß unsere gegenwärtige Kultur immer mehr zu einem System der unbegrenzten Verfügung über unbegrenzte Mittel wird. Albert Schweitzer, dessen Name und Werk zu einem Symbol geworden sind, befaßt sich mit den Menschheitskatastrophen der Weltkriege. Mit Recht sieht Schweitzer in echter Humanitätsgesinnung das taugliche Mittel, um jenen Chauvinismus und Fanatismus zu überwinden, der kriegerische Auseinandersetzungen auslöst. Nur aus dem Geist kann diese ethische Grundhaltung gewonnen werden. Karl Jaspers erblickt angesichts des Substanzverlustes an ethisch-religiösen Werten eine Möglichkeit zur Sanierung des geistigen Klimas vor allem in der Selbstbesinnung jedes einzelnen, der sich, ohne seine Persönlichkeit aufzugeben, dem Sozialkörper einfügen sollte, um die berechtigten Ansprüche der Gemeinschaft mit seinen eigenen in Einklang zu bringen.

Ob es in dieser Stunde der Welt- und Lebensangst eine Hoffnung gibt, fragt der Religionsphilosoph Martin Buber. In dem zwischen den Menschen herrschenden Mißtrauen, das heißt in dem Widerstreit zwischen Vertrauen und Mißtrauen, erblickt er ein Grundübel unserer Epoche. Und deshalb ruft Buber allen, die den Weg aus dem Dunkel suchen, zu: „Gerät unserem Mund, wahrhaft ,Du’ zu sagen, dann haben wir, nach langem Schweigen und Stammeln, unser ewiges Du von neuem angesprochen. Versöhnung wirkt Versöhnung.“ In diesem Sinn setzt sich auch der englische Historiker Arnold Joseph Toynbee mit dem Problem des Zusammenlebens der Völker in einer durch die technischen Errungenschaften täglich kleiner werdenden Welt auseinander. Der schlimmste Widersacher sei der Haß, aber auch der Fatalismus könnte sich auf die künftige Entwicklung verhängnisvoll auswirken.

„Mit der großen Mutation, die der Menschheit unserer Tage abgefordert ist“, befaßt sich Friedrich Heer in seinem „Die Dritte Kraft heute“ betitelten Essay. Aufgabe dieser „Dritten Kraft“ ist es, „Ge-

spräche mit dem Feind“ in Fluß zu bringen. Unter diesen Gesprächen versteht Heer die stete Präsenz des Denkens, der Existenz, der Fragen und Konstruktionen des gegenchristlichen Partners in der Brust des Christen. Darin bestehe die Funktion des Menschen der „Dritten Kraft“ in Europa. Deshalb müßten immer mehr Menschen in unseren Zonen sozusagen einen Finger ausstrecken, um an die Weltwirklichkeit zu rühren, hinter und in der die Feuer der Gottheit lodern. Diese innere Versöhnung des Europäers, des Christen mit sich selbst ist, wie Heer feststellt, die Vorbedingung für die künftige Versöhnung der „Völker”, der gentes. Den Befürchtungen und Hoffnungen im Hinblick auf die Organisation und den Organismus eines Weltstaates gibt Ernst Jünger Raum und betont hierbei ebenfalls die schicksalhafte Bedeutung einer im Humanen verankerten Grundgesinnung.

Von den übrigen namhaften Autoren, die zu diesen brennenden Zeitproblemen Stellung nehmen, seien Wilhelm Röpke, Frank Thieß, der Physiker Max Born und der Arzt Arthur Jores genannt. Manch warnende Stimme ist in diesem Symposion zu hören, und so verschiedenartig auch der Gesichtswinkel sein mag, unter dem Philosophen und Dichter, Historiker und Naturwissenschafter die Zeichen unserer Zeit betrachten, erschließt sich doch durch ihre Deutung ein Ausblick auf eine friedvollere Epoche, auf eine Epoche, in der die vernichtenden Kräfte durch echte Religiosität, durch die Freiheit des ethisch mündig gewordenen Menschen gebannt werden.

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