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Zwischen Ich und Du

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Das weltweite Echo, welches die Nachricht vom Ableben Martin Bubers hervorgerufen hat, entspricht der Bedeutung des Toten. In einer Größe, welche der zeitliche Abstand der Zukunft zweifellos noch angemessener zu würdigen wissen wird, ragt diese einmalige Persönlichkeit monolithisch über den politischen, philosophischen und konfessionellen Auseinandersetzungen auf. Denn die Botschaft Bubers — er selbst will nicht von einer Lehre sprechen — ist in das Gewissen des Jahrhunderts gesprochen wie kaum eine zweite.

Die lebensmäßigen Gegebenheiten umreißen den Ursprung und bezeugen die existentielle Authentizität dieser Botschaft. Buber war Jude, also Sohn jenes Volkes, das wie kein anderes von unserem Jahrhundert in die größte Verfolgung, aber auch zugleich in die äußerste Möglichkeit existentieller Bewährung geführt wurde. In Wien geboren und der Donaumetropole in vieler Hinsicht verpflichtet, reichen seine Ursprünge zurück in jene lebendigsten Kammern jüdischer Religiosität im neuzeitlichen Europa, nach Galizien, wo noch zu Beginn unseres Jahrhunderts die Mystik der Chassidim lebendig war. Die Auseinandersetzung mit dem Westen trieb ihn wieder zurück zu den östlichen Ursprüngen, so als wollte er in den Erzählungen der Chassidim, in den Sagen, Legenden und Gesängen der orientalischen Kulturen, in der Weisheit des Tao und des Brahman den Schlüssel zur Bewältigung abendländischer Größe und Gefahr finden. Der Inbegriff östlicher Weisheit wurde für Buber aber die Bibel, deren Geist er durch die Brille des abendländischen Lesers in vieler Hinsicht veruntreut, mißverstanden fand. Als der Leidensweg seines Volkes im Deutschland Hitlers begann, da war Buber der unablässige Künder und Tröster, der Inbegriff eines, geisti-gen Widerstandes, dessen Kraftquellen in der biblischen Weisheit lagen, die er bis zur Konzeption eines philosophisch faßbaren Menschenbildes Humanismus werden ließ.

Buber war Jude, aber sosehr ihm auch sein Judentum stets existentielles Problem war, er ließ es nie in einem exklusiven Ghetto erstarren. Ihm war es Dialog. Wenn zwischen Christentum und Judentum jemals die Rede auf den Dialog kommt, so könnte kein zweiter so 6ehr Sprecher des Judentums sein wie Buber. Denn ihm ging es nie um Konfessionelles, sondern stets um eine Religiosität, die sich jenseits aller Konfessionen begreift. Und wenn auch Buber gerade damit dmmer im Gegensatz zu jeder bestimmten Konfession steht — auch zur Orthodoxie des Judentums selbst —, was er über die Religiosität selbst zu sagen hat, trifft jede Religion im innersten Mark ihrer

Authentizität. Dieser Dialog nach außen ist schließlich Dialog mit der Philosophie, und hier, wo sich alle Problematik am sublimsten darstellt, kulminiert Bubers Werk.

Die äußere, von Buber lebensmäßig durchlittene Gefährdung des Juden ist Bild der Gefährdung des Menschen überhaupt, der im Zusammenbruch der Weltbilder von

gestern, im Sterben der großen Systeme hauslos geworden ist. Es geht um den Menschen, dem seine Welt in vieler Hinsicht entfremdet ist und über dem sich der Himmel zur „Gottesfinsternis“ verdunkelt hat. Der Mensch ist in der Welt. Ohne Welt wäre er nichts. Ihn ohne Welt abstrakt als losgelöstes, künstlich herausgestelltes Objekt zu betrachten hilft nicht weiter. Das Prinzip des Menschseins umfaßt beide Pole: ihn selbst und die Welt. Beide Pole stehen zueinander im Verhältnis gegenseitigen Bedingens und gegenseitiger Bedingtheit. Nicht zu sich selbst hat die Hauslosigkeit den Menschen zu bringen, sondern die Frage nach dem Menschen verweist ihn in die Welt.

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