Dramatische Storys zum Abschied

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Sinnliche Geschichten und ihre Helden faszinierten Künstler über Jahrhunderte hinweg. Mit der Ausstellung "Vom Mythos der Antike" legt Wilfried Seipel, scheidender Direktor des Kunsthistorischen Museums in Wien, ein persönliches Bekenntnis ab.

Verrat, Rache, Mord. Genauso: ausgelassene Feste, leidenschaftliche Liebe, unglaubliche Schönheit. Man stelle sich den Gang durch eines der großen europäischen Museen ohne Venus, Mars und Amor vor. Undenkbar. Denn die antiken mythologischen Erzählungen gehören mit ihren dramatischen Storys neben dem Alten und Neuen Testament zu den wichtigsten Themenspendern der abendländischen Kunstgeschichte. Bereits in der mittelalterlichen Kunst findet man Kunstwerke mythologischen Inhalts, aber erst seit der Renaissance und der Wiederentdeckung der Antike begannen mythologische Themen die Bilderwelt zu dominieren. Nun griff man verstärkt auf antike Mythendichtungen, auf Vergils "Bucolica", vor allem aber auf die "Metamorphosen" des Ovid zurück und pinselte die reizvollen Verwandlungsgeschichten auf die Leinwand. Selbst Künstler des 20. Jahrhundert wie Pablo Picasso oder Salvador Dalí konnten sich Ovids Schilderungen nicht entziehen.

Herkules, Apollo und James Bond

Die mythologischen Geschichten scheinen die Kunst auch deshalb so fasziniert zu haben, da sie zutiefst menschliche Empfindungen - Sehnsüchte, Leidenschaften und Ängste - spiegeln, selbstverständlich gehoben in die Sphäre des Göttlichen und Heroischen. Die sinnlichen und grausamen Storys mit ihren Helden und Heldinnen wie Herkules, Minerva, Apollo oder Daphne scheinen sich damals genauso zur Identifikation angeboten zu haben wie heute James Bond, Lara Croft oder Carry Bradshaw. Sogar zutiefst psychoanalytische Aspekte, die erst seit Sigmund Freud einen Namen haben, sprechen die mythologischen Handlungen an wie das barocke Ölbild eines Oberitalienischen Meisters aus dem Jahr 1705 mit dem Titel "Herkules tötet Antäus" zeigt. Dargestellt ist eine höchst dramatische Szene mit ineinander verkeilten nackten Männern: Herkules stemmt den Riesen Antäus hoch und tötet ihn in der Luft. Der Maler griff dabei auf eine bekannte mythologische Episode zurück, die von dem bösen Riesen Antäus erzählt, der nur solange unbesiegbar ist, solange er mit seiner Mutter - der Erdgöttin Gea - in physischem Kontakt steht.

Das Barockgemälde ist eines von zahlreichen Bildern und Skulpturen, die Wilfried Seipel für seine Abschiedsschau versammelt hat. Zum Schluss seiner achtzehnjährigen Amtszeit hat der nicht immer unumstrittene Generaldirektor sich und seinen Vorlieben noch einmal ein Denkmal setzen wollen, indem er seine "Antikensehnsucht" zum Thema einer Ausstellung machte.

Die Präsentation mit dem gleichermaßen hoch gegriffenen wie allgemeinen Titel "Vom Mythos der Antike" ist ein persönliches Bekenntnis des Wissenschafters Seipel. Bereits als Student der Klassischen Philologie habe er sich neben Ägyptologie immer wieder für Klassische Antike begeistert, so der scheidende Generaldirektor. Zugleich wollte Seipel noch einmal demonstrieren, was für ein hervorragender Netzwerker er ist, indem er von allen Museen Europas, mit denen das Kunsthistorische Museum in seiner Amtszeit kooperierte, Leihgaben erbat. Darunter so renommierte Häuser wie das Amsterdamer Rijksmusem, der Louvre und das British Museum. Einzig aus den USA wurden keine Exponate eingeflogen, was Seipel mit einem zu knappen Budget begründet. Offensichtlich haben die vielen opulenten Publikationen, die er noch schnell zum Abschluss seiner Ära herausbrachte, bereits die gesamten Ressourcen aufgefressen.

Saliera als Herzstück der Austellung

Dass Seipels "verlorene Tochter", die gestohlene und wieder aufgefundene "Saliera" Benvenuto Cellinis (1540-43), das Herzstück der Ausstellung bildet, versteht sich von selbst. Das goldene Salzfass, das dem Direktor durch die Diebstahlaffäre wohl mehr Kummer bereitete als alle Retrospektiven zusammen, ist auf dem alten, restaurierten Sockel des KHM-Erbauers Karl Hasenauer in neuem Glanz zu bewundern. Auch an malerischen Highlights hat die von Ausstellungsmacher und Bühnenbildner Hans Hoffer gestaltete Schau so Einiges zu bieten, auch wenn bei einem derart verbreiteten Thema die Auswahl eine subjektive ist. Unter dem Dach "Mythos der Antike" ließen sich unzählige Ausstellungen mit Exponaten aus aller Welt zusammenstellen und noch immer hätte man das Thema nicht erschöpfend behandelt.

In Erinnerung bleiben besonders der kontemplativ-nachdenkliche "Mars" von Diego Velázquez (um 1640) aus dem Madrider Prado oder die mystische Darstellung "Amor und Psyche" (um 1810) von Johann Heinrich Füssli aus dem Kunsthaus Zürich. Im Unterschied zu den meisten Amor- und-Psyche-Darstellungen zeigt Füssli Amor und Psyche nicht als glückliches Liebespaar. Vielmehr betont er den dramatischen Augenblick, in dem Amor die leichenblasse Geliebte in seinen Armen hält - ohne dass die Betrachter erfahren, dass der Liebesgott seine Psyche wieder zum Leben erwecken und heiraten wird.

Eine zu Wilfried Seipel passende Abschiedsschau, wenn auch nicht die innovativste seiner Amtsperiode. Nun darf man auf die kommende Direktorin Sabine Haag gespannt sein. Von ihr ist zu hoffen, dass sie unter Bewahrung der Qualität frischen Wind in die Leitung des Hauses bringt.

Vom Mythos der Antike

Kunsthistorisches Museum

1010 Wien, Maria-Theresien-Platz 1

bis 1. März 2009, Di-So 10-18, Do 10-21 Uhr

Katalog € 29,-

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