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Die Köpfe der Medici

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Rom, im September Die Fremdenführer sprechen nicht gerne davon und die Aufseher weichen den Fragen gerne aus; eine gewisse schamhafte Scheu hält sie davor zurück, den Scharen von Touristen, die mit offenem Herzen und offenem Munde durch die prunkvollen Sakristeien und Medici-Kapellen von San Lorenzo in Florenz wandern, zu erklären, daß die in den Sarkophagen ruhenden dreiundzwanzig Mitglieder der Familie Medici sämtlich kopflos sind. Man würde Erklärungen verlangen, da doch gemeinhin bekannt ist, daß die Angehörigen dieses glorreichen Fürstengeschlechtes, obwohl in bewegten Zeiten lebend, nicht samt und sonders eines gewaltsamen Todes gestorben sind. Auch von einer späteren Profanierung ihrer Gräber ist nichts bekannt geworden.

Und doch ist von verschiedenen Seiten gerade von einer Profanierung gesprochen worden, auch wenn es wissenschaftlicher Eifer war, der den Anlaß gab. Die Polemik um die Mediceer-Gräber ist neuerdings durch einen Artikel des „Osservatore Romano“ wieder aufgeflammt und wird wohl nicht zur Ruhe kommen, bis die Schädel nicht zu ihren Gerippen zurückgefunden haben. Der Anlaß zu der sich endlos hinziehenden Diskussion liegt nun schon ein Jahrzehnt zurück, als ein Pathologe von Rang und Namen, Professor Gaetano Pieraccini, damals Bürgermeister von Florenz, die ministerielle Erlaubnis erhielt, die Medici-Gräber zu öffnen und einer Rekognition zu unterziehen. Pieraccini, ein heute über neunzig Jahre alter Greis, voll ungebrochenem wissenschaftlichem Geist und kämpferischem Mut, ist ein später Jünger jenes Positivismus, der um die Jahrhundertwende die

Theorien eines Lombroso zur Blüte brachte, einer Lehre also, die durch Schädelmessungen auf den Geisteszustand und die Moralität schließen zu können glaubte. Der Florentiner Professor ergriff die einzigartige Gelegenheit zu einer typenbiologischen Untersuchung der Familie Medici (worüber er dann ein vierbändiges Werk schrieb), entnahm die Schädel aus ihren Gräbern und ließ sie in sein Studio im Anthropologischen Museum bringen. Von den dreiundzwanzig Schädeln wurden Gipsabgüsse angefertigt, aber die Ambitionen des würdigen Professors gingen weiter: er wollte eine „Craniothek“ von Medici-Schädeln gründen, die zweifellos eine Hauptattraktion seines schon sechstausend Nummern umfassenden Museums geworden wäre.

Aber die Jahre verflossen und die öffentliche Meinung beunruhigte sich über den fortdauernden kopflosen Zustand der Medici-Leichname. Es erregte Aergernis, als bekannt wurde, daß Professor Pieraccini den Schädel eines Lorenzo des Prächtigen auf seinem Schreibtisch stehen hatte, den profanen Blicken und Betastungen der Besucher ausgesetzt. Beim Gipsabguß war auch ein Stück der Nase im Material steckengeblieben und wanderte in die Brieftasche eines Reliquienfreundes. Das Ministerium für Unterricht, damals von dem jetzigen Ministerpräsidenten Segni geleitet, gab schließlich im Jahre 1953 Anweisung, den ursprünglichen Zustand wiederherzustellen, das heißt, die Schädel in die Gräber zurückzubringen. Doch die Minister wechselten und es geschah weiter nichts, als daß die dreiundzwanzig Schädel, in zwei Kisten eingeschlossen, in der Sakristei von San Lorenzo deponiert wurden. Bis schließlich Mitte Juni dieses Jahres der Superintendent für die Kunstdenkmäler in Florenz, Professor Barbae, ein ungewöhnlich kategorisches Telegramm erhielt: „Verfüge unverzügliche Durchführung ministerieller Weisungen bezüglich Medici-Schädel. Erwarte Zusicherungen. Ermini, Unterrichtsminister.“

Man hätte nun erwarten sollen, daß die Schädel“ in kürzester Frist ihre Ruhestätte finden würden. Das war aber keineswegs der Fall. Zunächst ergab sich die merkwürdige Tatsache.

daß es leicht gewesen war, die für die Oeffnung der Gräber notwendigen finanziellen Mittel aufzutreiben, aber äußerst schwierig, die gleiche Summe für die Wiederholung der Operation bereitzustellen. Zwei Millionen Lire wären erforderlich, um die äußerst schwierige und delikate. Arbeit zu vollbringen. Tonnenschwere Marmorblöcke und Statuen müssen gehoben werden. Und was für Statuen! Es sind monumentale Werke eines Michelangelo, die ..Nacht“, der „Tag“ und die „Madonna mit dem Kinde“, eine Aktion, die das Herz jedes Super-intendanten beben lassen würde.

Es ist also bisher nichts geschehen. Zudem zeigt sich der greise Professor Pieracrini keineswegs gewillt, seine Beute so leicht fahren zu lassen. Die Idee der „Craniothek“ hat er immer noch nicht aufgegeben und verteidigt sie mit jugendlichem Feuer. „In gleichsam symbolischer Form würde in der Craniothek die ganze Familie des Hauses Medici vereinigt sein“, sagt er. Aber doch nicht die ganze. Denn die Medici-Päpste, ein Leo X., Clemens VII., Pius IV. und Leo XI. sind, weil in Rom bestattet, seinem Zugriff entgangen.

Der vatikanische „Osservatore Romano“ ist die Antwort nicht schuldig geblieben. Er wird den starrsinnigen Professor Pieraccini nicht überzeugen können, aber wichtiger ist, daß die Angelegenheit der Medici-Schädel nicht über einem anderen Ministerwechsel in Vergessenheit gerät.

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