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Ehrlich gesagt, bin ich jetzt total kaputt“, sagte Hannelore Kraft nach geschlagener Wahl. Entwaffnende Offenheit als Rezept. Vielleicht ist es diese uneitle Ehrlichkeit, der die alte und neue Ministerpräsidentin von Nordrhein-Westfalen (NRW) ihren Wahlerfolg vom vergangenen Sonntag zu verdanken hat.

Noch am Abend ihres Triumphs hatte Kraft versucht, alle Spekulationen um eine Kanzlerkandidatur zu zerstreuen: Ihr Platz sei in Nordrhein-Westfalen, sagte die erfolgreiche Ministerpräsidentin. Außerdem habe sie ihr Wort gegeben. Man müsse ein Projekt haben und diesem folgen, ergänzte die 50-Jährige sinngemäß. Sie wolle ihre "vorbeugende Politik“ weiterführen.

Was aber, wenn weder der derzeitige SPD-Chef Sigmar Gabriel, noch der frühere Finanzminister Peer Steinbrück oder Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier nächstes Jahr für eine Kanzlerkandidatur der Sozialdemokraten bei den Bundestagswahlen zur Verfügung stehen? Dann könnte die strahlende SPD-Siegerin aus der deutschen Provinz und stellvertretende Bundesparteivorsitzende der von vielen Seiten in Bedrängnis geratenden Angela Merkel im Kampf Frau gegen Frau gefährlich werden. Hannelore Kraft ist in ihrem Bundesland das Kunststück gelungen, mit einer schwachen Minderheitsregierung nach zwei Jahren zuzulegen und die Macht zu stabilisieren. Seither gilt Kraft als neuer Shootingstar der SPD.

Aber auch wenn sie sich nicht zur Rivalin von Angela Merkel machen lässt, der Einfluss von Kraft auf die Bundespolitik wird zunehmen. In Richtung SPD sagte sie bereits, Verlässlichkeit müsse zum Markenzeichen der Partei werden. Ein Erfolgrezept gibt es nicht, aber einige Mosaiksteine, die dazu beigetragen haben mögen, dass die SPD dank Kraft in NRW erstmals seit 12 Jahren vorne liegt: Da ist einmal ihre Natürlichkeit und Spontaneität. Etwa, wenn sie sich am Wahlabend bei ihrer Familie bedankt, bei ihrem Mann, den sie noch aus der Schulzeit kennt und mit dem sie einen 19-jährigen Sohn hat, aber auch bei ihrer Mutter, die immer alles gut gebügelt hat. Kleinigkeiten, aber sie wärmen das Herz des Wählers.

Dass sie mit ihrer Politik Schulden machte, mag der Sparmüdigkeit der Bürger entgegengekommen sein, die die unaufhörlichen Appelle zum Engerschnallen des Gürtels möglicherweise schon satt haben. "Klare Kante“ lautet ein Motto der Straßenbahnertochter aus Mühlheim an der Ruhr, die Matura machte. Ein sozialdemokratischer Hintergrund wie aus dem Lehrbuch.

"Gefühlspolitikerin“ wird die zierliche Frau genannt: Hannelore Kraft ist eine, die sich um Menschen und Probleme kümmert, die Dinge beim Namen nennt und sie anpackt - allesamt natürliche Eigenschaften eines Politikers, möchte man meinen, aber heute schon so selten geworden, dass sie eigener Erwähnung wert geworden sind.

Anfangs war sie nicht von einer Minderheitsregierung überzeugt gewesen, rasch aber ist die Diplom-Ökonomin und Unternehmensberaterin in den vergangenen zwei Jahren in die Rolle einer Landesmutter hineingewachsen. In der SPD ist sie erst seit 1994. Nachdem sie der damalige Ministerpräsident Wolfgang Clement als Europaministerin ins Landeskabinett geholt hatte, ging es aber schnell mit den politischen Ämtern, bis hinauf zur ersten Frau an der Spitze von Deutschlands bevölkerungsreichstem Bundesland. Ihre Volksnähe, "Reviersprache“ nennt man es im Ruhrgebiet, hat sie aber nicht verloren.

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