"Zahlen noch immer einen hohen Preis"

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Die SPD leidet noch immer unter dem Vertrauensverlust bei ihren Wählern, den sie im Zuge der Agenda 2010 erlitten hat, zusätzlich fehlen Identifikationsfiguren, meint der Abgeordnete Oliver Kaczmarek.

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Die SPD leidet noch immer unter dem Vertrauensverlust bei ihren Wählern, den sie im Zuge der Agenda 2010 erlitten hat, zusätzlich fehlen Identifikationsfiguren, meint der Abgeordnete Oliver Kaczmarek.

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Oliver Kaczmarek, Bundestagsabgeordneter aus der SPD-Hochburg Unna, über die Krise der Sozialdemokratie und den stockenden Schulz-Zug.

DIE FURCHE: In Umfragen liegt Ihre Partei weit zurück. Wie erklären Sie sich das?

Oliver Kaczmarek: Die Sozialdemokratie in Europa ist insgesamt in der Krise. Zusammen mit der SPÖ ist die SPD noch eine von den sozialdemokratischen Parteien, die noch irgendwie stabil ist. In den Niederlanden und Frankreich sind die Sozialdemokraten bei der letzten Parlamentswahlen fast in der Bedeutungslosigkeit verschwunden. Von dieser Krisensituation ist auch die SPD erfasst. Aber für unsere Situation gibt es auch spezifische Gründe.

DIE FURCHE: Nämlich?

Kaczmarek: Wir zahlen immer noch einen hohen Preis für unsere Wirtschaftsund Arbeitsmarktreform. Wir haben auch nicht mehr die Identifikationsfiguren wie zu Zeiten Willy Brandts. Damals war die Verankerung der SPD bis in bürgerliche Milieus und in die Akademikerschaft darin begründet, dass sie ein Leitbild wie "Mehr Demokratie wagen" entwickelt hat, eine Friedenspolitik, eine Vision einer besseren Gesellschaft. Dagegen sind wir im Moment einem Pragmatismus verhaftet.

DIE FURCHE: Sie persönlich vertreten einen Wahlkreis, in dem die SPD kommunal noch die absolute Mehrheit hat. Was ist hier in Unna besonders?

Kaczmarek: Wir haben in der Region andere strukturelle Voraussetzungen, weil die SPD eng mit der Gesellschaft vernetzt ist. Bürgernähe, wie man so sagt. In allen relevanten Vereinen sind Sozialdemokraten vertreten. Was dort diskutiert wird, wird in unsere politische Arbeit rückgekoppelt. Und obwohl wir auch hier viele verloren haben, gibt es noch immer überdurchschnittlich viele Mitglieder. Wir hatten hier, in Bergkamen, die größte Bergarbeiterstadt Europas, mit 11.000 Arbeitsplätzen im Bergbau, wo natürlich die Verbindungen zwischen Gewerkschaften, SPD, Unternehmen noch viel enger waren als heute.

DIE FURCHE: Trotzdem verlor die SPD ihre Hochburg Nordrhein-Westfalen.

Kaczmarek: Die Landtagswahl in NRW hat uns tief getroffen, weil wir überzeugt waren, dass wir programmatisch vieles gut angegangen sind. Das Motto "Kein Kind zurücklassen", in den vorsorgenden Sozialstaat investieren. Aber wir haben auch schlimme Fehler gemacht, die am Ende auch dazu führten, dass wir abgewählt wurden. Das hat die SPD tief getroffen, weil wir immer noch dachten, das ist hier sozialdemokratisches Kernland. Wir haben aber auch keine gute Wahlkampagne geführt und die Zuspitzung mit dem politischen Gegner nicht gesucht.

DIE FURCHE: Wurde der Schulz-Effekt nicht auch durch diese Pleite abgebremst?

Kaczmarek: Ja, das stimmt. Sicher war es ein Fehler, dass wir hier in NRW den Schulz-Zug nicht nutzten und Martin während des Landtagswahlkampfs ein bisschen außen vor gelassen haben. Die Partei hätte sich gewünscht, dass er eine stärkere Rolle spielt, dass es einen gemeinsamen Schulzund Kraftzug gibt. Also ich kann mir ehrlich gesagt im Moment nicht erklären, wie dieses Umfrage-Phänomen überhaupt zu stande gekommen ist. Wie man innerhalb von wenigen Wochen so hochschießen und dann genauso schnell wieder so runtergehen kann.

DIE FURCHE: Ist nicht auch die Große Koalition ein Problem für die SPD?

Kaczmarek: Unsere Minister haben viel bewegt, und natürlich würden wir uns wünschen, dass die Menschen das eher mit uns als mit der Bundeskanzlerin in Verbindung brächten. Eine weitere Große Koalition wird in der Partei nicht befürwortet. Nur muss man wissen, dass wir damit in Berlin auch weniger Hebel in den Händen haben.

DIE FURCHE: Es scheint aktuell so, als sei eine CDU-geführte Bundesregierung der natürliche Zustand in Deutschland. Ist das nicht ungeheuer frustrierend?

Kaczmarek: Zunächst mal: natürlich gibt es die Option, jenseits von CDU und CSU in diesem Land Mehrheiten zu gewinnen. Ich bin auch ganz sicher, dass in der CDU viele Konflikte gerade dadurch überdeckt werden, dass Frau Merkel noch einmal angetreten ist. Der Widerspruch zwischen dem Sozial-Flügel der Union, der immer kleiner wird, und den Wirtschaftsleuten, den "Jungen Wilden", wird auch immer größer. Und ich glaube auch, dass Menschen für eine neue sozialdemokratische Vision ansprechbar sind. Die Arbeitswelt in ihrem Umbruch, das muss unser zentraler Ansatzpunkt sein.

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