Die TV-Konfrontation der deutschen Spitzenkandidaten von CDU und SPD war für die „Süddeutsche“ sehr lehrreich – weil sehr ehrlich.
Steinmeier ist nicht wie ein Phönix aus der Asche der SPD gestiegen, er hat sich nicht in einen Willy Brandt verwandelt, sich also nicht als ein bisher verkannter Charismatiker präsentiert. Allenfalls ab und an spürte man innere Begeisterung, allenfalls ab und an gelang es ihm, sein Programm populär und pfiffig zu präsentieren.
Er kam zwar aus der Defensive beim sogenannten Kanzler-Duell, aber er kam nicht wirklich in die Offensive. Er war der aktivere von zwei passiven Kandidaten. Er hat aber die kleine Chance zu einem Richtungswahlkampf – die sich etwa beim Thema Atomausstieg geboten hätte – nicht genutzt.
Bei einem Duell reiten eigentlich die Duellanten aufeinander zu; im Fall Steinmeier/Merkel ritten sie nebeneinander her. Steinmeier machte dabei die bessere Figur. Er war stärker, als man ihn bislang erlebt hatte, aber nicht wirklich stark. Er war gut genug, um einen recht guten Eindruck zu hinterlassen, um für sich zu werben; oftmals klang er überzeugend. Aber er war nicht gut genug, um die Stimmung zu wenden und dem Wahlkampf einen Umkehrschub zu geben; womöglich hat es aber für einen Schwenk gereicht, weg von Schwarz-Gelb. […]
CDU will FDP als Koalitionspartner – und Merkel?
Die CDU ist viel klarer als Angela Merkel auf die FDP als Koalitionspartner festgelegt. Die CDU misst den Erfolg der Parteichefin daran, ob dieses Bündnis zustande kommt – wenn nicht, wird das große Rumoren und Murren wider die Kanzlerin beginnen.
Der Partei gilt eine schwarz-gelbe Koalition als Erfolgsnachweis, die Neuauflage der großen Koalition als Misserfolgsnachweis. Merkel dagegen ist die große Koalition mindestens genauso recht wie die mit der FDP: Man musste nicht Sigmund Freud sein und der Kanzlerin in die Seele schauen, um beim sogenannten Duell festzustellen, dass ihre Sympathien für ein Bündnis mit der FDP sich nicht überschlagen: Ihr Bekenntnis klang hier sehr pflichtschuldig, die Wärme, mit der sie (wie Steinmeier auch) von den Leistungen der großen Koalition sprach, fehlte komplett. Aber vielleicht kann die Kanzlerin ihre Partei die große Koalition als Mausefallen-Koalition verkaufen – und damit hat sie wohl sogar recht: Beim weiteren Nagen am Speck der Macht wird die SPD als Volkspartei erschlagen.
K(l)eine Unterschiede zwischen Union und SPD
Ein Gerhard Schröder oder ein Sigmar Gabriel hätte aus dem Duell-Abend eine Inszenierung der großen Unterschiede gemacht – beim Thema Afghanistan, beim Atomausstieg, bei der Anklage gegen Banker und Banken. Der Kandidat Steinmeier hat das nicht gemacht oder nicht gekonnt, weil es seinem Naturell widerspricht; er hat sachlich argumentiert, Nuancen akzentuiert und kleine Unterschiede pointiert. Das wird der Realität zwischen SPD und Union derzeit gerechter als die spektakuläre Betonung von Unterschieden, die es (noch?) nicht wieder gibt.
Viele Wähler (und vor allem Nichtwähler) sehnen sich freilich nach einem Leuchtfeuer, nach markanter Orientierung also. Merkel und Steinmeier leuchten nicht, sie glimmen nur. Der Sonntagabend war kein Abend der Leuchtfeuer, sondern der Glühwürmchen. Der Abend hat zugleich erklärt, warum drei vormals kleine Parteien zu mittleren Parteien aufgerückt sind und warum sich daran wohl so schnell nichts ändern wird. Insofern müssen die Parteichefs der FDP, der Linken und der Grünen nicht gram darüber sein, dass sie zum Kanzler-Wettstreit nicht zugelassen waren: Das sogenannte Duell der Spitzenkandidaten von Union und SPD war ein Duell nicht zulasten, sondern zugunsten Dritter. Langweilig? Nein, lehrreich! Es war ein ehrlicher Abend.
* „Süddeutsche Zeitung“, 15. September 2009
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