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Der deutsche Wähler will Schwarz-Gelb. Doch, so fragt der „Tagesspiegel“, kann die Kanzlerin des Ungefähren den hohen Erwartungen gerecht werden?

Die deutsche Wahl erinnert an eine alte Regel aus Kindheitstagen: Ein Wunsch, der in Erfüllung gehen soll, darf auf keinen Fall ausgesprochen werden. Also wird die Münze in den Brunnen geworfen oder die Wimper in den Wind geblasen – aber der Wunsch nur leise ins eigene Innere gehaucht. Was zu laut tönt, erschreckt die guten Geister.

Die Deutschen standen am Sonntag vor einer Richtungsentscheidung. Wollten sie die Fortsetzung der großen Koalition? Oder wollten sie ein schwarz-gelbes Reformbündnis aus Union und FDP? […]

Das Votum des Souveräns war deutlich. Nach elf Jahren konnte die strukturell linke Mehrheit (aus PDS/Linkspartei, SPD und Grünen) gebrochen werden. Die neue Regierung unter Angela Merkel hat nun ein klares Mandat, eine klare Mehrheit und ist stabil. Das interne Kräfteverhältnis indes täuscht ein wenig. Viele Stammwähler der CDU haben aus taktischen Gründen für die FDP gestimmt, um ein Signal gegen die große Koalition zu setzen. Dennoch wirkt Schwarz-Gelb wie ein Zufallsprodukt. Merkel und FDP-Chef Guido Westerwelle haben zwar stets beteuert, füreinander wie geschaffen zu sein, aber nie genau begründet, warum. Insbesondere Merkel hat im Wahlkampf Begriffe wie „Reformen“, „konservativ“ oder „marktliberal“ gemieden wie der Teufel das Weihwasser.

Schwarz-Gelb wollen, aber nur leise darüber sprechen

Die bittere Erfahrung aus dem Jahr 2005, als ihr der Vorwurf, eine kaltherzige, neoliberale Politik anzustreben, fast das Genick brach, sitzt ihr in den Knochen. Ihre Lehre daraus: Je intensiver du Schwarz-Gelb willst, desto leiser musst du darüber sprechen. So geschah es. Opposition und ein Teil der Medien beschwerten sich heftig über den langweiligen, inhaltslosen, konturenlosen Wahlkampf, den Merkel ganz bewusst so inszeniert hatte. Kanzlerbonus plus fehlende Angriffsfläche: Das reichte. Ihr Kalkül ging auf.

Was aber will Merkel? Schlummert in ihr eine Frau mit Gestaltungswillen, Sendungsbewusstsein und Tatkraft? Oder will sie auch in Zukunft nur eines – überleben? In der großen Koalition hatte Merkel es leicht. Mit zerknirschter Miene konnte sie jeden Kompromiss mit der Botschaft verbinden: Wäre ich nicht in dieser ungeliebten Koalition gefangen, könnte ich ganz anders sein, reformfreudiger, konservativer, weniger sozialdemokratisch. Künftig fehlt ihr diese Ausrede. Jetzt muss sie zeigen, was wirklich in ihr steckt.

Vor vier Jahren war Merkel weiter als die Mehrheit der Deutschen. Sie sah die Notwendigkeit, angesichts einer rapide alternden Bevölkerung die sozialen Sicherungssysteme radikal zu reformieren. Sie erkannte, dass trotz der Agenda 2010 das Land eher noch einen Nachholbedarf an Brutalitäten hatte, um im globalen Wettbewerb bestehen zu können. Knüpft die Kanzlerin jetzt an ihre Einsichten aus dieser Zeit an – oder ist diesmal die Mehrheit der Deutschen weiter als Merkel? Das ist die entscheidende Frage.

In historischer Perspektive wäre diese Rollenverteilung zwischen womöglich zaudernder Politik und den sie treibenden Kräften aus dem Volk ungewöhnlich. Denn in Deutschland gab meist die Politik den gesellschaftlichen Takt vor. Ob Westbindung, Nato-Mitgliedschaft, Ostpolitik, Nachrüstung oder Einführung des Euro: Gegen eine Mehrheitsstimmung taten mutige Politiker, was sie im Interesse des Landes für richtig hielten.

Diesmal steht Merkel unter Druck, das leisten zu müssen, was eine überraschend reformfreudige Bevölkerungsmehrheit von ihr erwartet. Es wird auch die Funktion der FDP in der Koalition sein müssen, die Union ständig daran zu erinnern, ein schwarz-gelbes Mandat erhalten zu haben. Der Wähler wollte ein Ende der großen Koalition. [...]

* Tagesspiegel, Berlin, 30. September 2009

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