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Aus dem „anderen“ Deutschland

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Der 1928 in Breslau geborene Dramatiker Peter Hacks hat in beiden Teilen Deutschlands Anerkennung für seine eindrucksvollen Bühnenwerke gefunden. Im Wettbewerb junger Autoren der Stadt München erhielt er 1954 den ersten Preis für sein Stück „Eröffnung des Indischen Zeitalters“. Zwei Jahre später wurde er in der DDR für „Die Schlacht bei Lobositz“ mit dem Lessingpreis ausgezeichnet.

Hacks ist 1955 von München nach Ost-Berlin umgesiedelt, um im Berliner Ensemble als Dramaturg unter Bert Brecht zu arbeiten, dessen Einfluß in seinem gesamten Schaffen unverkennbar ist. Wie sein Lehrmeister möchte auch Hacks mit seinen Bühnenstücken dazu beitragen, eine „bessere Welt“ zu schaffen. Er versucht, statt „Illusionen“ im Zuschauer zu erwecken, ihm Erkenntnisse zu vermitteln, die in seinen Alltag hineinwirken sollen. In seiner Schrift über „Das realistische Theater“ plädiert der Autor für einen Realismus, der die Wirklichkeit dialektisch, im Sinn ihrer Veränderbarkeit, zeigt. Die Hauptwirkung des realistischen Theaters solle, wie Hacks in seinen theoretischen Schriften ausführt, ,ydie mit Einsicht gepaarte Erregung über das Leben“ sein, „das Vergnügen an der Einsicht, und die aus der Erregung folgende Aktivität.“ In dieser Formulierung wird deutlich, daß Hacks nicht einer billigen Zweckpropaganda huldigt. Die künstlerische Funktion des Theaters ist für ihn, ebenso wie für Brecht, ein echtes Anliegen, und er beherrscht souverän die Kunstmittel dramatischer Gestaltung. Er hat Gewalt über das Wort, weiß es genau und sicher einzusetzen, vermag aber auch mit ihm zu spielen. Es fehlt nicht an dichterischen Elementen in seinen realistischen Bühnenstücken, in denen sich Passagen von außerordentlichem poetischen Reiz finden.

Von den fünf in der vorliegenden Ausgabe versammelten Stücken spielen vier in der Vergangenheit; aber hinter der historischen Einkleidung verbergen sich immer auch allgemeine und zeitgeschichtliche Bezüge. „Das Volksbuch vom Herzog Ernst“, in dem die Anlehnung an das spätmittelalterliche Volksbuch spürbar ist, zeigt, wie Hacks in den „Anmerkungen“ zu seinen Stücken ausführt, den Abstieg eines Mannes, dessen Heldentum sich „in genauer Abhängigkeit von seiner Macht vermindert“. Es ist voll von satirischen Anspielunigen auf korrupte politische und geistliche Würdenträger, rückt die negativen Seiten des Feudalismus in den Mittelpunkt und sieht den Menschen ganz allgemein von einem düsteren Blickpunkt.

In der preisgekrönten tragischen Komödie „Eröffnung des Indischen Zeitalters“ erscheint Kolumbus als die Figur einer neuen Zeit, als Gegenspieler der Vertreter überholter mittelalterlicher Traditionen, die sich gegen die neuen wissenschaftlichen Erkenntnisse zur Wehr setzen.

Die Stücke „Die Schlacht bei Lobositz“ und „Der Müller von Sanssouci“ führen in die friederizianische Ära. Beide sind von antifeudalem Pathos getragen; die kleinen Leute werden auch unter dem aufgeklärten Absolutismus als Opfer der Mächtigen gezeigt, die sie skrupellos für eigennützige Interessen benützen. Die Schicksale des fahnenflüchtigen Ulrich Bräker (des Verfassers von „Der arme Mann im Toggenburg“), sein Ausbruch aus der Welt falschen Heldentums und sein Aufruhr gegen die Drahtzieher des Krieges („Furcht den Tod, besonders den des Helden...“), stehen im Mittelpunkt der außerordentlich spannenden und bewegenden Handlung der „Schlacht bei Lobositz“. In dem satirischen Lustspiel „Der Müller von Sanssouci“, dessen Geschichte in den Schulbüchern als Erweis der Gerechtigkeit Friedrichs des Großen abgehandelt wird, kehrt Hacks die Fabel dahin um, daß der eigentlich untertänige Müller vom Alten Fritz zu seiner Rebellion gezwungen wird, da der König aus Propagandagründen der Welt eine Rechtsgesinnung vortäuschen möchte, die in seinein Staat in Wirklichkeit nicht vorhanden ist.

Auch wer mit Hacks' historischen Interpretationen nicht übereinstimmt, wird ihm kaum ein echtes Mitgefühl für die Opfer der Geschichte, für die Leidenden und Unterdrückten, absprechen wollen. Und seine mitreißende Gestaltungskraft steht außer Frage in den erwähnten Bühnenwerken. Diese positiven Züge kommen viel weniger zur Wirkung in dem einzigen zeitgenossischen Stück „Die Sorgen und die Macht“, in dem der Autor Problemen der Arbeitsmoral in der sozialistischen Welt zuleibe rückt. Konflikte zwischen persönlichen und gesellschaftlichen Interessen, in die die Arbeiter zweier Fabriken geraten — die Verführung, viel und schlechte Ware zu liefern, weil das einträglich ist und den Schaden zwar die anderen haben, man selbst aber davon profitiert — werden in einer Manier abgehandelt, die dem Leser hierzulande wie eine Parodie vorkommt. Vielleicht soll es auch eine sein?

„Trügerischen Vorteil meidend, billigen / Erfolg verschmähend, wählten wir / Von allen Anfängen den schwierigsten / Und fanden so den rechten Weg. Nämlich / Arbeitermacht, das wußten wir, kommt vor / Arbeiterglück. Glück hat Macht nötig. / Und dem allein, der zäh zur Macht beiträgt, / Erwächst der Tag, wo Macht in Glück umschlägt.“

So die Genossin Holdefleiß auf einer Betriebsversammlung! Das ist unverdauliche Kost, ob man die Dinge nun ernst oder parodistisch nimmt. An einem Thema wie diesem versagten die schöpferischen Kräfte auch eines Peter Hacks, der sicher zu den bedeutendsten jungen deutschen Dramatikern gehört.

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