6762980-1968_22_31.jpg
Digital In Arbeit

Amphitryon 40

Werbung
Werbung
Werbung

Die neueste Version des Amphi- tryon-Stoffes stammt von Peter Hacks, dem ostdeutsch gewordenen Dramatiker, und wurde kürzlich — sehr bald nach ihrer Uraufführung — im Grazer Schauspielhaus zum erstenmal in Österreich gezeigt. Diese vermutlich vierzigste Fassung der antiken Sage hat mit Plautus, Moliėre, Kleist und Giraudoux nur den Handlungskern gemein. Es fehlt der deutlich ausgesprochene Hinweis auf die Geburt des Herakles, es fehlt das Diener-Ehepaar, es fehlen die Hahnrei-Späße des Moliėre, die erotische Leichtlebigkeit des Giraudoux und die Gefühlstiefe des Kleist. Dafür aber gibt es bei Peter Hacks eine Menge Philosophie, die den dritten Akt zwar etwas lahm werden läßt, aber der komödiantischen Wirkung der ersten beiden keinerlei Abbruch tut. Sostas, der Diener des Amphitryon, ist hier ein Philosoph, und zwar ein Kyniker oder —• wenn man will — ein Stoiker. Aber weder seine Lehre von der „Seelenruhe“ noch des Amphitryon fast krankhafte Ruhmsucht, seine Ar- beits- und Schlachtwut stellen das Ideal dar, sondern — das deutet des Autors Zeigefinger vorsichtig an — das Vollmenschliche, die Zusammenfassung aller menschlichen Möglichkeiten. Die aber repräsentiert nur der Gott, Jupiter, dessen vollendete Liebeskunst die höchste menschliche Vollkommenheit symbolisiert: Götter haben's eben leicht… Das Vergnügen an dieser Komödie entspringt nicht nur den komischen Situationen. Mit dem virtuos gehandhabten Blankvers bringt Peter Hacks klassisches Maß in das Stück, zerstört es aber im Nu wieder durch die desillusionierende Pointe, die wie von selbst aus dem Rhythmus zu fließen scheint. Keines von allen Amphi- tryon-Dramen hat jedenfalls so sehr mit der Desillusionierung auch der Figuren und des Requisits operiert, ohne dabei in die Nähe der Parodie zu geraten.

Die Grazer Aufführung war hervorragend. Wolfram Skalickis Dekorationen verbanden die Bläue eines antiken Himmels mit fernöstlichen Bühnenelementen Brechtscher Observanz, die Regie Rolf Hasseibrinks löste aus der strengen Form des Verses mit Eleganz den „ernsten Witz“, der für Hacks ein Charakteristikum der Poesie ist. Begeisterten Beifall erntete vor allem Harald Harth, der Darsteller des Jupiter.

Nicht viel weniger akklamiert wurde Harald Harths Zeichnung des unglücklichen Shakespeare-Königs Richard II.: Wahrhaft elend als König, wahrhaft königlich im Elend, ein fast neurotischer Despot, krampfhaft bemüht, seine Schwäche zu bemänteln, ein hohnlachender Seher des Niedergangs seiner Verräter. So auch die Inszenierung des nun schon zum erfahrenen Shakespeare-Regisseur gewordenen Rudolf Kautek: Morbide der Königshof, kraftstrot zend die Usurpatoren, prächtig gelungene Tableaus —, aber der Klumpfuß dran war, daß nur wenige Darsteller auch den Text mit den gelungenen Aktionen in Einklang zu bringen wußten. Skalickis Bühnenbild-Abbreviaturen ermöglichten den reibungslosen Lauf der szenischen Maschinerie.

Im Opernhaus gab es neben dem Vergnügen an einem Tournee-Gastspiel Hans Jarays und Johannes Heesters’ mit dem schon sehr abgestandenen „Fall Winslow“ berechtigtes Entzücken bei einer Neuinszenierung von Wolf-Ferraris „Vier Grobianen". Ohne die etwas schematische Heiterkeit und Lieblichkeit der unproblematischen Bagatelle überschätzen zu wollen: Die harmlose Freude, die der Opernbesucher an der netten Seifenblase empfindet, hat doch auch ihren Grund. Besonders dann, wenn eine so bezaubernde, wohlexerzierte, bewegungsfreudige Wiedergabe vorhanden ist wie in Graz (Inszenierung Wilfried Steiner, Dirigent Edgar Seipenbusch, Bühnenbild Josef Brun).

Die letzte Premiere im Keller der „Spielvögel" brachte neben der Uraufführung einer Art monologischen Szene über ein menschlich berührendes Thema („Die Kante“ von dem Grazer Eric Rumbach) eine gescheite, unkonventionelle und pak- kende Folge von „Szenengesprächen“ des Schweden Sandro Haberg: Entlarvung der phantastischen Salbaderei vom „schönen Leben“, des leeren Humanitätsgefasels, des Egoismus, der sich hinter scheinbar altruistischem Gerede verbirgt. Die Szenenfolge wurde mimisch und textlich hinreißend dargeboten vor dem Regisseur Horst Slippek, der mit dieser rhetorisch wie gestisch gleichermaßen faszinierenden Wiedergabe eine schöne Talentprobe ablegte.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung