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Ein imponierendes Unterfangen

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Ein außergewöhnliches Ereignis in der deutschsprachigen Theaterwelt fand in Innsbruck statt: Shakespeares Königsdramen als Zyklus von fünf Vorstellungen, in einheitlicher Darstellung. Geplant und vorbereitet wurde dieses große Projekt seit mehr als vier Jahren. Intendant Helmut Wlasak konnte den unter anderem als Shakespearenachdichter bereits bekannten Manfred Vogel gewinnen, für Innsbruck die acht „Histories“ des großen englischen Dramatikers textlich und dramaturgisch neu zu fassen. Vogel hat nach den Urtexten fünf Dramen geschaffen, in denen er den Gehalt der Shakespeare-Dramen, das Aufweisen der Ausweglosigkeit des menschlichen Schicksals in der Verstrickung von Politik und Macht, durch die Raffung und das Herausschälen des Hauptsächlichen stark betont. Shakespeare schrieb seine „Histories“ nicht chronologisch, aber durch die kontinuierliche zeitliche Abfolge werden bei Vogel die inneren Bezüge sehr deutlich. Da viel historischer Ballaststoff weggefallen ist, werden die Stücke durchsichtiger und verständlicher. Das Stundenglas, das Vogel als Sprecher des Prologs und des Epilogs einführt, unterstreicht die Thematik, hier wird sozusagen der moralisch-ethische Gehalt, oft in Form von Fragen, ausgesprochen. Auch enden die Dramen in der Nachdichtung jeweils mit dem Herrschaftsantritt des neuen Königs. Vogel bedient sich der modernen Umgangssprache. Sein zeitgemäßes Vokabular bleibt fast immer ein poetisches, ohne Kunstsprache zu werden, wie in den Übersetzungen von Schlegel-Tieck-Baudissin. Das so entstandene durchgehende dramaturgische Konzept wird nun glücklich umgesetzt durch die Regie von Rudolf Kautek. Das Bühnenbild (Peter Mühler und Karl Weingärtner) bildet die ideale Grundlage für die Inszenierung. Metallgraue Steinwände symbolisieren düstere Abgeschlossenheit und Bedrückung. Die beiden Hauptelemente, Thron und Tower, werden mittels des Bühnenhubs zum Sinnbild des ewigen Auf und Ab der Mächtigen.

Kauteks Regiekonzept ist konkret, direkt und klar. Er fängt durch die historischen Kostüme den Geist der Epoche ein, unterstreicht aber sonst das Zeitlose, die Mechanismen der Gewalt, die Krieg, Heuchelei, Zynismus, Mord und Rohheit zur Folge haben. (In diesem Zusammenhang bekommen die von Ellen Müller-Preis einstudierten Fechtszenen eine starke Aussagekraft.) Und doch bringt die Regie ganz deutlich zum Ausdruck, daß die Entscheidung zum Guten oder zum Bösen zu einem wesentlichen Teil vom Individuum, vom Menschen abhängt. Das sichtbar zu machen, gelingt durch die sorgfältige Herausarbeitung der Charaktere, bei der sich Regie und Darstellungskunst glücklich ergänzen. Daß daneben eine ganze Anzahl von kleineren Rollen nur schwach besetzt sind, ist zwar schade, beeinträchtigt den Gesamteindruck aber wenig.

Natürlich würde es zu weit führen, alle guten schauspielerischen Leistungen gegeneinander abzuwägen und zu würdigen. So greifen wir außer den Titelhelden nur Harry Kalenberg als Falstaff uttd- Brigitte Schmuck als Königin Margaret heraus. Kalenberg spielt den vitalen, aber auch den ängstlichen und zuletzt zerbrochenen Falstaff glaubhaft. Brigitte Schmuck gestaltete die leidenschaftliche Kälte und Herrschsucht Margarets sehr gut, leichte Einschränkungen wären höchstens bei der Szene mit der Ermordung des Sohnes zu machen. Hannes Maeder bewältigte zwar den Übergang vom zu Recht aufständigen Bolingbroke zum Usurpator nicht ganz, war aber durchaus überzeugend als kranker, besorgter, an seinem Sohn verzweifelnder Henry IV. Hans-Joachim Schmiedel spielte mit Charme den leichtsinnigen Kronprinzen und gab dann einen würdigen und jugendlich einsatzfreudigen Henry V. ab. Wenn auch die Ansprache an die Soldaten vor der Schlacht zu polternd und laut kam, so war die mit Humor und Selbstironie gespielte Werbung um die französische Prinzessin sehr gelungen. Intendant BJelmut Wlasak sang nicht nur die bezaubernden Pistolballaden, er fand auch für den zwischen Sendungsbewußtsein und Verzweiflung zerrissenen Richard II. den richtigen Ton, sein Henry VI. gelang dem intellektuellen, seiner Mittel sicheren Schauspieler als Studie eines schwachen, wenn auch in guter Absicht handelnden, wankelmütigen Menschen. Oswald Fuchs, der seine Rollen mit dem Gefühl erfaßt und sie von innen her belebt, war ein bedrückend dämonischer Richard III., dem man den Erfolg im rücksichtslosen Streben nach Macht auf Grund seiner Ausstrahlung glaubte. Fuchs setzte auch hier die ungewöhnlichen reichen Möglichkeiten des stimmlichen Ausdrucks ein, über die er verfügt: Feinste Nuancierungen ließen frömmelnde Heuchelei erkennen, falsche Freundlichkeit, den leisen Unterton der Ungeduld, und die sich steigernde Hysterie des Verlierers. So wurde das letzte Drama in diesem Zyklus auch von Aussage und Wirkung auf das Publikum her zu einem Höhepunkt.

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