Von Tulpenhype und Konsumglück

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Während für alle anderen Künste gilt, dass sie der jeweiligen Gegenwart etwas "Neues", auch Dissonantes, entgegensetzen, wird von Literatur gerade in Phasen wachsender Unsicherheiten erwartet, sie möge sich auf bewährte Konzepte besinnen, also wieder ordentlich erzählen. Kein Kunstkritiker würde angesichts der globalen und medientechnischen Verwerfungen der Bildenden Kunst ernsthaft vorschlagen, sie solle auf das Genre-Bild zurückgreifen, damit sie wieder verständlich werde

Freilich arbeitet Literatur immer noch mit denselben 26 Buchstaben, während den anderen Künsten neue Technologien und mediale Möglichkeiten zu Verfügung stehen. Trotzdem muss auch Literatur, verstanden als künstlerische Weltaneignung, die Grenzen unserer Sprach- und damit Denk-Strukturen immer neu verrechnen und austesten. In der jüngeren österreichischen Literatur scheint dieses Geschäft verstärkt von Autorinnen besorgt zu werden, und Lisa Spalt ist hier ganz vorne zu nennen.

Blüten und Werte

Seit ihrem ersten Band "gegndn" (1998) im verdienstvollen Wiener Kleinlabel "Das Fröhliche Wohnzimmer" publizierte die 1970 in Höhenems geborene Autorin bislang acht Bücher. Zuletzt erschien 2007 "Grimms", eine kühne "Neu-Verflechtung der Märchen-Daten" zu Variationen auf die mentalen Befindlichkeiten unserer Zeit. Im neuen Band "Blüten. Ein Gebrauchsgegenstand" rückt Lisa Spalt den verschwimmenden Grenzen in allen Lebensbereichen noch radikaler zu Leibe: Natur und Künstlichkeit, Schein und Sein, Körper und Prothese, Realität und Virtualität, Geld und Fake, privat und öffentlich, Leben und Tod, das sind die Themenfelder, die Lisa Spalt quer durch alle Disziplinen und mit überraschenden poetischen Bildern abschreitet.

Den übergreifenden Zusammenhang stiftet die Tulpe, die mit dem jüngsten Finanzcrash als Objekt der ersten großen Spekulationsblase der Börsengeschichte wieder ins Gerede kam. Auch das interessiert Lisa Spalt: das Porträt der Tulpe als "Pendel in der Zeitmaschine", die weiße Blüte der Tulpe und das "blütenweiße Wertpapier", beide gewissermaßen "nach dem viralen Code produziert".

Denn es war der Mosaik virus, der beim Tulpen-Boom mitspielte, eine Pflanzenkrankheit, die auch Bohnen, Gurken oder Rüben befallen kann und bei Tulpen eine interessante Färbung verursacht. "Die aus Kränklichkeit schön gewordene" Tulpe als "Nachfahrin der romantischen Blauen Blume" heizte die Spekulation an; den Höhepunkt erreichte der Tulpen-Hype 1634, parallel zum europäischen Massensterben durch Krieg und Pest epidemie.

Lisa Spalt entwickelt daraus kein erzählerisches Gemälde, sondern eine Abfolge von Denkcapricen in 71 Artikeleinträgen samt Anhängen, aufgelockert mit elf fein gezeichneten "Bildkarten". Wie es sich für ein lexikalisch die Gegenwart vermessendes Unterfangen gehört, sind die Artikel mit einer Verweisstruktur versehen; allerdings fehlt das Kardialprinzip der alphabetischen Abfolge der Stichworte. Die Anschlussstücke wollen mühsam gesucht sein und geben auch ihre innere Logik keineswegs immer gleich, und schon gar nicht automatisch zu erkennen. Lisa Spalt streift mit ihrem interdisziplinären Parforceritt tatsächlich an Grenzen des Denk- und Verstehbaren, sie bastelt mit poetischen Mitteln an einer neuen Menschheitserzählung, und deren Themen sind heute, so Michel Serres, in der Naturwissenschaft zu finden. Es sind Gedankenexperimente von höchster Komplexität, die die Autorin oft im Konjunktiv vorschlägt; schließlich ist der "begrenzte Verstand, der die Unbegrenztheit in die Welt gebracht hätte" ein "böser Streich unserer Behauptungsausstattung".

Mensch und Natur

Mitunter entschlüsseln sich die sprachlichen wie inhaltlichen Volten sofort wie die "drei Wiener Stadtmusikanten": Ich, "Streng-Überich" und "Funky-Es"; oder das Bild der "durch Haare ungenießbar gemachten Stelle" im Nacken der Dirigenten, "die eigentlich zum Reinbeißen gedacht wäre - der Ort, an dem die Natur als Tötbarkeit aus dem Frack der Kultur" ragt. Das berührt die zentrale Frage nach der Beziehung Mensch/Natur/Kultur/Künstlichkeit und deren aktuellen Verwerfungen.

Das Tier- und Pflanzenreich, das sich in den "Tattoo-Gärten" die Haut des Menschen als letztes Refugium wählt, wird genau am Körper mit dessen Tod "doch ausgerottet". Während der Mensch sich um die Natur "sorgt", und eines Tages vielleicht "kontrolliert biologische Granaten mit dem stark reduzierten Rauchausstoß" produzieren wird oder Panzer mit "umweltfreundlichem Hybridantrieb". In der "Hardware der Natur" tickt ein "eingepflanztes Programm", auch wenn die "europäische Wildnis" schon im 19. Jahrhundert in Hochöfen verheizt wurde und gerade in puncto Natur auf die Sprache wenig Verlass ist.

Immer wieder vermisst Spalt die Abgründe der "Körperarbeit", die das vor einem Jahrhundert selbstbewusst abgelegte Korsett unter die Haut verlagert hat. Der "unumkehrbar zum Stumpf geschnitzte" Körper wird "durch die im Gegensatz zu ihm austauschbaren Prothesen veredelt", die den "Momentcharakter des Konsumglücks" mit dem "Wegwerfcharakter des immer perfekteren Ersatzes" kurzschließt.

Und wenn dann alle attraktiv wären, käme das dem glücklichen Urzustand gleich? Arbeiten sie darauf hin, die Avatare der Social Games, diese "globalen Puppenspieler", mit denen die Menschen als "Vintage-Medium" versuchen, im Menü der Emotionen einander wieder verständlich zu werden? Wenn der Automat in den Körper integriert wird, würde dann "eine Hardware-Transzendenz möglich"?

Eine Möglichkeit von Kunst, so heißt es einmal, ist, "den Finger durch die tickende Zeitbombe unserer Natürlichkeit hindurch ins Uhrwerk dahinter zu stecken", und dabei wie Charles Chaplin die Würde zu bewahren, die "sich um jeden Preis an den Strick der Vorstellung vom Überblick" klammert. Lisa Spalt gelingen tatsächlich überraschende Einblicke in das "Uhrwerk dahinter", die unser Bild von den verborgenen Mechanismen ordentlich aufmischen.

Blüten. Ein Gebrauchsgegenstand Von Lisa Spalt. Czernin 2010. 60 S., kart., ? 19,00

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