Booklet 2-3 - © Rainer Messerklinger

Poetischer Widerstand als grimmiger Spaß

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Lisa Spalts Roman „Das Institut“ wendet sich gegen einen politischen Diskurs, der eine Scheinrealität herstellt.

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Lisa Spalts Roman „Das Institut“ wendet sich gegen einen politischen Diskurs, der eine Scheinrealität herstellt.

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Eine Sprache, die formal und ästhetisch die Möglichkeiten des politischen Widerstandes auslotet, hat sich tief in die österreichische Literaturgeschichte eingeschrieben, tiefer als in viele andere Nationalliteraturen, die sich stärker dem Story-Telling verschrieben haben und ihr Engagement off en vor sich hertragen.

Ilse Aichinger, Ingeborg Bachmann, Thomas Bernhard, Elfriede Jelinek, Josef Winkler: Viele haben die Sprache als Moment der Irritation begriff en und eingesetzt. Sie haben die Sprache von jeder Gefälligkeit befreit. Das zeigt sich auch im Blick auf den großen Nachbarn Deutschland, dessen kanonisierte Autoren wie Thomas Mann, Heinrich Böll, Günter Grass und Christa Wolf viel stärker auf die erzählerische als auf die sprachliche Kraft gesetzt haben.

In die Tradition einer Grammatik des Widerstandes reihen sich einige der spannendsten österreichischen Romane des Jahres. Bei genauem Hinsehen ergeben sich dabei auff ällige Überschneidungen und narrative Parallelen, die eines gemeinsam haben: Sie lehren den Leser und die Leserin das Misstrauen. Allen voran Lisa Spalt mit ihrem literarischen Projekt „Das Institut“, in dessen Zentrum der gleichnamige Roman steht, der eigentlich kein Roman ist, sondern vielmehr einen Roman beschreibt. Das Institut für poetische Alltagsverbesserung, kurz IPA, gibt es tatsächlich (oder auch nicht), es ist nämlich die Autorin selbst, vielleicht ist es auch die Literatur, aber so genau weiß man das nicht. Das klingt kompliziert und soll es auch sein. Verwirrung gehört zum Stilprinzip und auch eine gehörige Portion Nonsense. In kurzen Abschnitten beschreibt die Erzählerin, die Autorin und Institut in Personalunion ist, die Weltstadt Lands, die sich unter einem Diktator namens Cramp auf die ganze Welt ausgedehnt hat.

Mit seinen Anhängern kapert Cramp die Literatur und verkauft sie als Realität: „Die Erdichtung wurde ja inzwischen von städtischen Beamtinnen erledigt, so war mir die einzige Verdienstmöglichkeit abhandengekommen. Genauer: Diese Agents kopierten meine experimentellen Methoden der Poesie und dichteten ‚konkret‘ in ‚Zahlenkolonnen‘ [...].“ In der politischen Vereinnahmung der Fiktion wird ein Angriff sowohl auf die Literatur als auch auf die Realität erkennbar gemacht. „Wissenschaftliche Seriosität“ wird plötzlich „als Übereinstimmung von Erkenntnissen mit dem Willen des Volkes“ defi niert, „böhmische Dörfer“ sind von echten nicht mehr zu unterscheiden.

Fühlt sich die Literatur zunächst auch sprachlos angesichts der manipulativen Aneignung ihrer Verfahren, darf sie sich ihrer ureigenen Mittel nicht berauben lassen: „Ich begann, Wörter zu fürchten, welche die Agents zu ihren Zwecken missbrauchten, und musste jede Diskussion beenden, wenn sie erklangen. So wuchs meine Ohnmacht, da ich mich immer mehr aus dem Wörterbuch zurückzog, anstatt auf der ,Bedeutung meiner Wörter‘ zu bestehen.“ Das ganze Projekt (eine intermediale Ergänzung fi ndet sich im Netz unter www.lisaspalt.info) kann als poetische Gegenrede verstanden werden, aber eben nicht gegen tagesaktuelle und tagespolitische Aktionen und Positionen, sondern gegen einen politischen Diskurs, der sich narrativer, fiktionalisierender Techniken bedient, um manipulativ eine Scheinrealität herzustellen.

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