Einmal wirst Du... - © Illustration: Leonora Leitl / Tyrolia

Die Zukunft beginnt jetzt

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Was einmal sein wird, thematisiert nicht nur die Jugendliteratur, sondern auch ein Kinderbuch.

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Was einmal sein wird, thematisiert nicht nur die Jugendliteratur, sondern auch ein Kinderbuch.

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Zukunft: In Sprache und Literatur ist damit eine Zeitform gemeint. Mit Blick auf individuelle Biografien sind Wünsche und Hoffnungen an den Entwurf lebenszeitlicher Perspektiven gebunden. Gesellschaftspolitisch wiederum gerät Zukunft zuletzt wieder verstärkt in den Blick – ausgehend von der Frage: Wird es angesichts des Klimawandels überhaupt eine Zukunft für die Menschheit geben? Ausdruck verliehen wird einer gegenteiligen Hoffnung in den weltweiten Protestmärschen Jugendlicher, die unter dem Titel „Fridays for Future“ stehen. Zukunft meint in diesem Fall eine umfassend lebenswerte Welt, in der verantwortlich mit Ressourcen umgegangen wird (und in der diese Ressourcen auch gerecht verteilt werden).

An mahnenden Gegenentwürfen zu einer solchen verantwortet verwalteten Zukunftswelt mangelt es der Jugendliteratur nicht: Rund um Suzanne Collins’ Erfolgstrilogie „Hunger Games“ („Die Tribute von Panem“) haben sich in diesem Jahrzehnt neue, respektive neu belebte Formen des Erzählens etabliert, durch die unsere (oder eine dazu alternative) Welt in die Zukunft gedacht wird. Für apokalyptische Zäsuren in einer solchen Future-Fiction sorgen nicht nur Zombie-Attacken oder kriegerische Szenarien, sondern auch vom Menschen verursachte Umweltkatastrophen, die unseren Lebensraum weitgehend unbewohnbar machen.

Die österreichische Autorin Ursula Poznanski zum Beispiel legt ihrer dystopischen Eleria-Trilogie („Die Verratenen“ / „Die Verschworenen“ / „Die Vernichteten“) ein Ereignis zu Grunde, das auf der Handlungsebene vage als „der Ausbruch“ bezeichnet, aber nicht näher erläutert wird. Sichtbar sind nur dessen Folgen: In Mitteleuropa konnte sich eine kleine Gruppe von Menschen in so genannte (natürlich hochtechnisiert überwachte) Kuppeln retten und überleben; die Außenwelt hingegen ist winterlich vereist. Ich-Erzählerin Ria wird von den politischen Führern ihrer Kuppel verraten und muss in die unwirtliche Außenwelt flüchten.

Ihr Handeln ist davon ausgehend natürlich zuallererst darauf fokussiert, ihr Leben zu retten; die Frage nach der Qualität dieses Lebens stellt sich erst nach und nach – und wird (so viel sei verraten) mit einem langsamen Auftauen der Außenwelt parallelisiert. Der implizierte Bewusstwerdungsprozess hat aber auch rezeptionsästhetische Rückwirkung auf die Frage nach einem kindlichen Aufwachsen unter Bedingungen, die zwar nicht apokalyptisch, aber dennoch herausfordernd genug sind.

Dabei ein geglücktes Leben zu utopieren und dennoch jene Beschädigungen nicht auszusparen, die das Zusammenleben von Kindern und Erwachsenen in dieser einen Welt gleichermaßen bestimmen (können), darf als Stärke einer Kinderliteratur gelten, die ihre Leser ernst nimmt. Zukunftsfragen können dabei für Kinder denselben Belang haben wie für Erwachsene:
„Wie wird der schönste Tag in deinem Leben sein? Und wie der schrecklichste?“ Sie können aber auch ganz und gar aus einer kindlichen Weltsicht erwachsen: „Haben Eltern ihre Kinder immer lieb?“

Die Autorin und Illustratorin Leonora Leitl wirft an die dreißig solcher Fragen auf und wählt unter dem Titel „Einmal wirst du …“ philosophisch-ethische Überlegungen als verbindendes Moment einer Aufeinanderfolge dieser Fragen. Der Reiz des Buches resultiert dabei aus dem Miteinander der jeweiligen Frage und einer ihr gegenüber gestellten, illustratorisch inszenierten Antwortmöglichkeit – wobei die „Antworten“ die Fragen erst konturieren und in deren Vielgestaltigkeit sichtbar machen.

„Wirst du einmal mutig sein?“, heißt es da zum Beispiel auf der linken Buchseite, während auf der rechten ein sehr kleines, zartes Mädchen einen sehr großen, präsenten Pippi-Langstrumpf-Schatten wirft. Oder: „Ist es wichtig, gute Noten in der Schule zu haben?“ Gegenübergestellt ist ein bezopftes Mädchen im gelben Parka, das ein Schild hochhält: „Schulstreik für das Klima“.
Leonora Leitl inszeniert ganz schlichte, schemenhaft wirkende Szenerien in ihren Buntstiftzeichnungen und verleiht ihnen durch Misch- und Collageelemente farbstarke Effekte.

Die Stärke der Illustrationen liegt im Detail: Schriftelemente, Anspielungen und Querverweise zeigen, dass schwierige Fragen an das Leben und die Zukunft längst nicht düster und tonnenschwer daherkommen müssen, sondern mit Humor und Leichtigkeit präsentiert werden können. Und dass jede ganz individuelle Frage an die Zukunft Teil einer anthropologischen Matrix ist: „Ist es eigentlich wichtig, welche Hautfarbe man hat?“ Nun: schon möglich. Aber wie ein Umblättern zeigt: Hautfarben können sich auf überraschende Weise ändern. Die Zukunft könnte also speigrün oder aber voller Sommersprossen sein.

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