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Gefährliche Prognosen?"

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Weltweit haben Energieprognosen eine fatale Gemeinsamkeit: Sie überschätzen laufend den tatsächlichen Energiebedarf. Auch die für Österreich erstellten Projektionen über den künftigen Energieverbrauch sind diesbezüglich keine Ausnahme.

Österreich verbrauchte im Jahre 1979 rund 1010 Picajoule Energie. Diese Zahl gewinnt Anschaulichkeit, wenn wir sie uns als jene Energiemenge vorstellen, die 92 Kraftwerke von der Art Zwentendorfs bei planmäßigem Betriebsablauf liefern würden. Ausgedrückt in dieser aktuellen Energierecheneinheit betrug Österreichs Energiekonsum im abgelaufenen Jahr also 92 ZW(entendorf).

Für 1985 prognostizierte nach dem ersten ölschock im Jahre 1974 das Institut für Wirtschaftsforschung einen Gesamtenergieverbrauch von 142 ZW. Jährlich wurden diese Projektionen nach unten revidiert und heute, nur sechs Jahre später, glauben die Wirtschaftsforscher im Jahre 198S mit 105 ZW auszukommen.

Um das Jahr 1985 energiemäßig bewältigen zu können, müßten somit statt 50 „nur" 13 zusätzliche Energiequellen von der geplanten Lieferleistung Zwentendorfs bereitgestellt werden. Die Prognoserevision macht 40 Prozent des Gesamtenergieverbrauchs des abgelaufenen Jahres aus!

Ähnlich gravierend ist der Prognosefehler für den geschätzten Stromverbrauch. Österreich konsumierte im Jahr 1979 Elektrizität im Ausmaß von 10 ZW. Noch 1974 schätzte das Institut für Wirtschaftsforschung für 1985 einen Elektrizitätsbedarf von 18 ZW. Inzwischen machten die Wirtschaftsforscher Abstriche um volle 4 ZW und empfehlen, bis 1985 die Stromerzeugungskapazität auf „nur" 14 ZW auszubauen: wiederum eine Revision von rund 40 Prozent des gesamten Elektrizitätsverbrauchs des Vorjahres.

Von der Elektrizitätswirtschaft wurde kürzlich das Kraftwerksausbauprogramm für die nächsten zehn Jahre vorgestellt, das auf durchschnittlichen Jahreszuwachsraten beim Stromverbrauch von 4,5 bzw. 5,2 Prozent beruht, was bis zum Jahr 1985 zusätzliche Kraftwerksleistungen im Umfang von 3 bzw. 4 ZW erfordern würde.

Diese Stromverbrauchsprognosen sind unverständlich, wenn man auf die durchschnittlichen Stromverbrauchszuwächse der letzten fünf Jahre blickt, die deutlich unter 4 Prozent lagen. Auch der von der Elektrizitätswirtschaft propagierte Vorschlag, künftig durch aus Kernkraft gewonnenen Strom wenigstens teilweise den Verbrauch von Mineralölprodukten zu ersetzen, ist eine Illusion. 35 ZW machte nämlich im vergangenen Jahr der Energieverbrauch bei den Mineralölprodukten aus, das Dreieinhalbfache des Stromverbrauchs, dessen Produktion der österreichischen Elektrizitätswirtschaft schon genügend Schwierigkeiten bereitet.

Die vorgestellten Energieprognosen werden volkswirtschaftlich bedenklich, sobald sie Investitionsvorgänge auslösen, die aus einer gesamtwirtschaftlichen Perspektive als ineffizient zu bezeichnen sind. Dieser Vorwurf trifft vor allem jene kalorischen Kraftwerksprojekte, die fast das Zweifache der erzeugten elektrischen Energie ungenützt in Form von Wärme an die Umgebung abgeben, statt wenigstens einen Teil der Abwärme in ein Fernwärmenetz einzuspeisen.

Der Vorwurf fehlgeleiteter Kraftwerksinvestitionen ist auch zu erheben, solange der Investitionsaufwand für Effizienzverbesserungen in unserem Energiesystem geringer ist als Tür zusätzliche Kraftwerkskapazität.

Für die USA, Großbritannien, Schweden und die BRD liegen nun detaillierte Studien Uber den Energieverbrauch vor, die Perspektiven für bedarfsorientierte Energiesysteme liefern, mit denen ein Sättigungsbedarf an Energiekomfort in den nächsten zwanzig Jahren mit dem gegenwärtigen Primärenergieaufwand realisierbar erscheint.

Eine solche Umstrukturierung des gesamten Energiesystems vom gegenwärtigen angebotsorientierten zu einem bedarfsorientierten Entwicklungspfad wäre auch für Österreich höchst wünschenswert.

Ein bedarfsorientiertes gesamtwirtschaftliches Energiekonzept basiert auf der Erkenntnis, daß wirtschaftlich und technisch sinnvoll bereits heute der Energieeinsatz in der Industrie um 20 bis 40 Prozent, im Verkehr um 30 bis 50 Prozent und in den Haushalten um 60 bis 80 Prozent gesenkt werden kann, ohne einen Komfortverlust zu erleiden oder die Funktionsfähigkeit unserer Wirtschaft zu beeinträchtigen.

Die Finanzierung der dafür erforderlichen Investitionsaufwendungen für thermisch verbesserte Gebäude, energetisch effizientere Transportsysteme, Fernwärmenetze, Kraftwerke mit gekoppelter Kraft-Wärme-Erzeugung und Biomassenutzung könnte aus jenen derzeit freiwillig oder unfreiwillig geleisteten Vermögensübertragungen an das Ausland erfolgen, deren Empfängerkreis von der OPEC bis zur Firma Siemens reicht.

Nach diesen Überlegungen wird die Unzulänglichkeit der gegenwärtigen Energieprognosepraxis offenbar: Anstatt der Wirtschaftspolitik den Handlungsspielraum für ein neu zu strukturierendes Energiesystem zu entwerfen, das wirtschaftlicher, auslandsunabhängiger, ökologisch und sozial verträglicher als das gegenwärtige Energiesystem ist, wird weiterhin gleichsam durch den Rückspiegel in die Energiezukunft geblickt.

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