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Digital In Arbeit

Seien Sie kratzbürstig!

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Was mag Herr Querstock an mir gefunden haben? Er kam Woche für Woche zu den ungelegensten Zeiten, saß da, stöberte in meinen Papieren herum und redete auf mich ein. Vermutlich wollte er mich „fördern“.

Gestern sagte er:

„Hören Sie mal, mein Lieber. Sie erhalten wohl doch gelegentlich Besuch von Leuten, die Ihre Bücher gelesen haben und Sie kennenlernen wollen.“

Das komme zuweilen vor, antwortete ich.

„Und wie benehmen Sie sich diesen Leuten gegenüber? Sehr kühl vermutlich, wie?“

Ich benehme mich möglichst natürlich.

„Sehr falsch!“ rief Herr Querstock. „Sie müssen sich in solchen Fällen ein besonderes Benehmen aneignen. Ich gebe Ihnen den Rat: Seien Sie kratzbürstig.“

Weshalb aber?

„Weil die Dichter eben so sind! Es gehört höchstwahrscheinlich dazu, meine ich. Sie müssen so sein. Passen Sie auf: Vor vielen Jahren besuchte ich in der Schweiz einmal einen richtig berühmten Dichter. Wie hieß er denn noch? Hesse hieß er, richtig, Hans Hesse. Ha, war der Hans Hesse aber kratzbürstig!“

„Sie werden ihn in der Arbeitsruhe gestört haben“, sagte ich.

„Mir egal“, erklärte Herr Querstock. „Er war kratzbürstig, basta. Soäter kam es dann doch zu einem Gespräch, und ich fragte ihn, ob er meinen Landsmann, den alten Raabe, noch gekannt hätte. Ja, antwortete mir der Schweizer, ich habe ihn in meiner Jugend in Braunschweig aufgesucht. — Wie war er denn zu Ihnen, fragte ich. — Er war kratzbürstig, sagte der Schweizer Hesse, aber später ist es dann doch zu einem Gespräch gekommen, mein Herr, und ich fragte den alten Raabe, ob er in seiner Stuttgarter Zeit Mörike gekannt hätte. Jawohl, antwortete Raabe dem Hesse, ich habe ihn einmal aufgesucht; er war kratzbürstig. — Ist es dann später doch zu einem Gespräch gekommen, Herr Raabe? fragte der Hans Hesse. — Wieso denn, sagte der alte Raabe, ich ging ja weg.“

„Haben Sie jetzt begriffen, wie die richtigen Dichter sind?" fragte Herr Querstock mich. „Lassen Sie sich raten: Wenn Sie sich Fremden gegenüber so geben, als sei es Ihnen da drinnen wohl zumute, so glaubt Ihnen kein Mensch, daß Sie was mit Dichten zu tun haben. Wollen Sie in der Welt noch mal was Richtiges werden — seien Sie kratzbürstig! Unbedingt!“

Nun ja. Ich habe alsdann Herrn Querstocks Rat an ihm selber erprobt. Er hat es aber sehr übel aufgenommen. Heute schrieb er mir auf einer Karte: „Leute ohne Herz sollten sich nicht Poeten nennen!“

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