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Blumen zum Geburtstag

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Zusammenhängend verantworten? — Ach so, ja. Also, wie es gewesen ist? — Ja, Herr Gerichtsrat, das war so:

Sie erinnern sich doch, wie das Wetter in diesem Monat ausgesehn hat. Nicht? Drei Wochen lang nichts als Regen und Nässe. Den möchf ich kennen, der da noch trockene Füße behalten hat.

Aber nein, Herr Präsident, ich schweife nicht ab. Das gehört dazu. Sonst kann ich nicht berichten, wie es mit dieser Sache gewesen ist.

Ja, also, wo bin stehn geblieben? Bei den trockenen Füßen. Eigentlich bei den nassen Füßen, hohes Gericht. Unsereins kann manches ertragen, muß es auch ertragen. Nicht? Aber schlechtes Wetter, das ist fast das Ärgste. Wo soll ich bei Regen hin? Sie können froh sein, Herr Präsident, daß Sie Ihre schöne Wohnung haben, mit mindestens drei Zimmern. Nicht?

Ja, verzeihen Sie, Herr Präsidialrat, ich komme schon zur Sache.

Also, drei Wochen hat's in diesem Monat geregnet und gestürmt. Und dann kommt mit einemmal das herrlichste Wetter! Unsereinem geht auch das Herz auf, wenn die Sonne scheint und alles voll Blumen ist und die Vögel wie närrisch Musik machen. Besonders am frühen Morgen ist das wundervoll. Das wissen Sie wahrscheinlich gar nicht, Herr Gerichtsvorstand. Um die Zeit, wenn's in der Natur am schönsten ist, schlafen Sie wohl noch.

Nein, Herr Rat, ich schweife nicht ab. Ich bin längst mitten drin im Wichtigsten. Es gibt ja Leute, die können genau beschreiben, wie das ist, wenn die Morgensonne auf die Blumen scheint und wenn die Vögel außer Rand und Band sind vor lauter Lebensfreude. Es gibt Leute, die beschreiben das gewerblich. Nicht? Sie machen es so, daß sich Immer das eine aufs andere reimt Und dafür bekommen sie gezahlt. Was ich ganz richtig finde. Jede Arbeit ist ihres Lohnes wert. Der eine ist ein Dichter und der andere ein Bäcker oder ein Schuster oder ein Gerichtspräsident.

Verzeihen Sie, das ist mir nur so auf die Zunge gekommen. Sie stehen ja außer Debatte, wie man zu sagen pflegt.

Dichten hab ich nie gelernt. Meine Mutter selig wollte, daß ich Schlosser werden sollt. Eine Zeit lang hab ich's auch bei dem Gewerbe ausgehalten und mir etwas davon angeeignet. Nämlich etwas Kenntnisse, bitte, nichts sonst. Aber mir fehlt die Geduld. Ich hab keine Ruhe im Blut. Ich brauche die Landstraße unter den Füßen.

Ja, gewiß, Herr Rat, ich bin schon bei der Sache. Wie also das Wetter so schön war, daß die Dichter gewiß alle Hände voll zu tun hatten, damit fertigzuwerden — da ist mir das mit der Zeitung zugestoßen.

Mit der Zeitung, ja. Steht nicht im Akt? Vielleicht hab ich's vergessen, wie mich die Polizei einvernommen hat. Ich war ja so verzweifelt, damals.

Daß man mich auf frischer Tat —? Aber nein, Herr Präsidialrat, nicht deswegen. Sondern, weil man mir so viel Undankbarkeit vorgeworfen hat. Wo ich doch dem Herrn Doktor Bauser mein Lebtag dankbar sein muß.

Ach so, Sie meinen, wie das mit der Zeitung war? Ja, eine Zeitung vom gleichen Tag. Die hab ich im Park auf einer Bank gefunden. Und das war mein Unglück. Ich vertiefte mich in die Zeitung. Und da stand eine Nachricht, die mich selbst anging.

Uber einen Komplicen? Aber nein, Herr Gerichtshof. Weshalb denken Sie immer das Schlechteste von mir? In der Zeitung stand, daß Herr Doktor Bauser seinen sechzigsten Geburts'.an feiert und daß der berühmte und beliebte Anwalt zu seinem Wiegenfeste Glückwünsche und Geschenke in Menge bekommen hat. Sehen Sie, Herr Oberrat, da erinnerte ich mich daran, wieviel ich Herrn Doktor Bauser verdankte, weil er mich doch damals in der Sache — also schön, das gehört nicht hieher. Kurz gesagt, ich war damals freigesprochen worden. Das sind nun auch schon etliche Jahre her. Aber ich vergesse es nie. Nie.

Und da hatte ich also nur einen Wunsch. Es war ein so herrlicher Tag und es gab so viel Blumen. Sechzig Jahre ist Herr Doktor Bauser nun alt, dachte ich, und er sitzt zeitlebens in der Stadt, marschiert nicht auf den Landstraßen wie ich. Weiß er denn überhaupt, wie schön das Leben sein kann? Solche Gedanken gingen mir durch den Kopf. Ich entschloß mich also, ihm zu seinem Geburtstag Blumen zu bringen.

Sie sollten jetzt nicht lachen, meine Herren vom hohen Präsidium, denn ich bin zwar nur ein alter Stromer, das weiß ich, aber ich will Sie davor bewahren, über einen Mitmenschen ein ungerechtes Urteil zu sprechen.

Idi nahm also die Blumen und ging zur Wohnung des Herrn Doktor Bauser.

Gekauft? Nein. Wovon sollte ich Blumen kaufen? Verzeihen Sie gnädigst, aber manchmal fragen Sie so merkwürdig, Herr Rat!

Ich komme also zur Wohnungstür des Herrn Doktor Bauser. Ich klingle und poche. Niemand öffnet. Wohin soll ich nun mit meinen schönen Blumen? Ich kann sie doch nicht statt dem Geburtstagskind wem anderen sdienken. Ich sperre also die Wohnungstür auf und —.

Womit? Mit meinem Dietrich, selbstverständlich. Womit denn sonst?

Ich sperre also auf und trete ein. In seinem Arbeitszimmer standen schon viele Blumen von anderen Spendern. Ich stecke meine Blumen dazu, in eine dicke Vase — und da kommt plötzlich der Diener des Herrn Doktor und das Weitere steht ja in den Akten. Nicht?

Ja, da haben Sie recht, Herr Ratspräsident. Wenn ich genau sagen könnte, welche Blumen von mir gewesen sind, dann wäre die Sache heute einfacher für mich. Aber hätte ich meinen Blumen ein goldenes Bändchen anhängen sollen mit einem lila Briefchen? Blumen sind Baumen, dachte ich. Die Hauptsache ist, sie sind schön und duften. Ich wollte ja bloß dem Herrn Doktor eine Freude machen. Ein Dankschreiben hab ich nicht erwartet. An welche Adresse hätte er mir denn auch schreiben sollen?

Ja, fertig, Herr Gerichtshof, ich bin mit meiner Verantwortung fertig. So war es, nicht anders.

Gewiß, Herr Gerichtshof, es ist schwer zu glauben, es klingt unwahrscheinlich. Aber ist es nicht noch unwahrscheinlicher, daß ein Mensch so undankbar sein könnte, bei seinem alten Wohltäter einzubrechen, um ihn zu bestehlen? Glauben Sie, daß ich das über mich bringen würde? Und im übrigen — lesen Sie doch bitte auch einmal eine Zeitung, Herr Präsident — dann werden Sie sehen, daß die ganze Welt unwahrscheinlich ist!

Nun eine kleine Strafe, meinen Sie? Wofür, bitte? Blumendiebstahl? Sie sind aber genau! Durch die Untersuchungshaft verbüßt?

Nehme ich an, selbstverständlich. Und meinen ergebensten Dank, hohes Geridit.

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