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Der gezähmte Marxismus
Von Prof. O. F. Dobrowolny. Österreichischer Verlag, Wien 1949. 116 Seiten
Von Prof. O. F. Dobrowolny. Österreichischer Verlag, Wien 1949. 116 Seiten
Die Kenntnis der wesentlichen Lehren des Marxismus sowie die Argumente, die gegen ihn erhoben werden können, sind heute ein wichtiger Bestandteil der allgemeinen politischen und der geistigen Bildung. Dies gilt um so mehr, als die Marxsche Lehre, ungeachtet des Grades ihrer wissenschaftlichen Geltung, in weiten Teilen der Erde zu einer Glaubenslehre erhoben wurde, die, zwar im wesentlichen mit Argumenten der Macht verteidigt, sich doch auf die Dauer den Argumenten des Geistes nicht entziehen kann. Es ist daher sehr zu begrüßen, daß Prof. O. F. Dobrowolny es unternommen hat — wenn auch unter einem wenig zutreffenden Titel —, eine leitht lesbare und leichtfaßliche kritische Einführung in die Marxschen Gedankengänge und Begriffe zu geben.
Die Schrift berücksichtigt sowohl die philosophischen Grundlagen als auch die Wirtschaftslehre und die praktische Anwendung des Marxismus. Die überaus gedrängte Darstellung mag in den mit der Materie weniger vertrauten Lesern den Wunsch zu eingehenderem Studium der angeschnittenen Probleme wecken. Die stärksten Argumente gegen den philosophischen Materialismus sind der Erkenntnistheorie, also jener philosophischen Disziplin entnommen, welcher der Marxismus selbst so großes Gewicht beilegt. Mit Rudolf Eucken weist der Verfasser darauf hin, daß die Bewußtwerdung der Natur, die Vergegenwärtigung derselben im Geiste „von sich aus zu voller Genüge ein Mehr des Geistes gegenüber der mechanischen Natur' bezeugt. Damit, daß der philosophische Materialismus die Grenzen sinnlicher Wahrnehmung mit den Grenzen des Seins überhaupt gleichsetzt, legt er seinem Erkenntnisvermögen eine freiwillige Beschränkung auf, die er nicht wahrnehmen kann, weil er sie nicht wahrnehmen will. Die Frage, „ob die materialistische Geschichtsauffassung davon betroffen wird, wenn man den philosophischen Materialismus verneint", wird selbst von Marxisten verschieden beantwortet. Dobrowolny hält sich daher bei dieser Frage nicht auf, sondern geht auf die inneren Widersprüche der Geschichtsauffassung des Materialismus ein: denn wenn die Macht der Ideen als Geschichte bildende Kraft geleugnet, wenn sie bloß als das schillernde Spiegelbild wirtschaftlicher Veränderungen angesehen würde, wie könnte dann „die Ideologie des historischen Materialismus als feststehend angenommen werden"?
In der Kritik der marxistischen Wirtschaftslehre folgt Dobrowolny seinen zahlreichen Vorgängern, ohne vielleicht der Tatsache voll gerecht zu werden, daß diese Lehre trotz aller Anfechtbarkeit eine gewaltige Denkleistung darstellt und daß der Wert dieser Leistung, der oft knapp neben der Linie der Marxschen Argumentationen liegt, bis heute nicht voll ausgeschöpft wurde. Nirgends zeigt sich so sehr wie in diesem Teil seiner Lehre die intuitive Begabung Marxens. Die Folgerungen allerdings, die er zieht, sind falsch und durch die Praxis mehrfach widerlegt, denn Marx arbeitet mit einem idealisierten Menschenbild. Er glaubt an die natürliche Güte des Menschen. Seine materialistische Philosophie aber mit ihrer grenzenlosen seelischen Verarmung wirft den Menschen ganz auf seine Sinne und Triebe zurück. Das innere Streben zum Gutsein entschwindet. Es bleibt der äußere Zwang. Hier liegt die Wurzel des praktischen Versagens dieses Systems.
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