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Beigründlicher Vorbereitung

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Zunächst darf bemerkt werden, daß ein Zivügesetz, das das gesamte Zivilrecht umfaßt, zwar vom code civil bis zum italienischen Zivilgesetzbuch angestrebt worden war, aber in England und in den skandinavischen Ländern nie bestanden hat. Auch in den Ländern, die ein Zivilgesetzbuch besitzen, hat es sich' als notwendig erwiesen, zivilrechtliche Nebengesetze zu erlassen, und ist beispielsweise heute in Österreich und Deutschland das Ehegesetz selbständig verkündet. Die Frage wäre daher vielleicht eher darin zu stellen, ob die Vereinheitlichung des Zivilrechts in Europa möglich ist, wobei auch für mehrere Materien verschiedene Gesetzbücher in Frage kämen. Weiter ergibt sich die Frage, wieweit die Vereinheitlichung notwendig oder erwünscht ist.

Die Interdependenz der europäischen Staaten steigert sich in unserer Zeit in rapidem Maße, und die Kulturen ähneln sich durch die einheitliche Technik und die Beschleunigung des Verkehrs immer mehr an. Das rechtfertigt, die Frage der Möglichkeit der Reohtsverein-heitlichung im Grundsatz zu bejahen. Jedoch ist die Notwendigkeit der Vereinheitlichung in den einzelnen Rechtsgebieten verschieden wie auch das Ausmaß der Widerstände gegen eine solche.

Eine Vereinheitlichung wäre insbesondere in Materien notwendig oder zumindest sehr erwünscht, in denen sioh Tatbestände häufig über die Landesgrenzen erstrecken, also insbesondere auf dem Gebiet des Verkehrsreohts, im Wechsel- und Scheckrecht, im Kaufrecht. Dabei sind zwei Wege möglich. Man kann sich damit begnügen, nur die Bestimmungen über den internationalen Transport oder internationalen Warenkauf zu vereinheitlichen, im übrigen aber verschiedenes internes Recht bestehen zu lassen. Die Aufgabe der Vereinheitlichung interna tiön'aler'TaiJbes^nde, zuVtf Beikel auch Im Wettbewerbs- und Kartellrecht, wäre die zunächst dringlichere. Außerdem würde es dann auch eher gelingen, die Erfahrungen, die man aus den bereits gemeinschaftlich festgelegten Normen für internationale Tatbestände gewonnen hat, auch für die Vereinheitlichung des internen Rechts zu benützen. Der andere Weg wäre, zugleich die Normen des internen Rechts zu vereinheitlichen. Das ist weniger dringlich, und die Widerstände, die zu überwinden sind, wären auch größer.

Auf dem Gebiet des Obligationen-und Handelsrechts wird das Rechtsgefühl der Volksgesamtheit kaum hinderlich sein. Hier handelt es sich mehr um ein Recht, das von den Juristen und den interessierten Kreisen behandelt wird; sie müssen die Lösung finden. Im Rahmen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft wird die Angleiohung des Wirtschaftsreohts naturgemäß große Fortschritte machen. Auf dem Gebiet des Immobiliarrechts besteht wohl geringere Notwendigkeit der Vereinheitlichung, da hier die internationalen Verknüpfungen seltener sind. Schwierig liegt es auf dem Gebiet des Rechtes des sogenannten Perso-nälstatuts, insbesondere im Familienrecht und dem auch auf der Struktur der Familie beruhenden Erbrecht. Hier sind uralte Traditionen und verschiedene Auffassungen der Völker gegeben, welche, soweit sie heute noch gerechtfertigt sind und nicht auf mehr zufälligen historischen Gegebenheiten beruhen, zu beachten wären. Immerhin zeichnen sich aber auch hier in Europa gleichlaufende Tendenzen ab, wie zum Beispiel die Rechtsgleichheit der Geschlechter, die Verbesserung der Rechtsstellung der Frau und des Kindes, insbesondere des außerehelichen Kindes, Sicherung des Unterhalts, getrennte Gütermassen der Ehegatten, Ausgestaltung des Adoptionswesens, Regelung des Pflichtteils, Wegfall des Erbrechts entfernter Verwandter usw. (Wegen weiterer Einzelheiten vergl. die Ausführungen in Schnitzers, „Vergleichende Rechtslehre“, 2. Aufl., S. 74—97.)

Bei dem ungeheuren Rechtsstoff würde es wohl zweckmäßig sein, die Vereinheitlichung gründlich vorzubereiten und von Gebiet zu Gebiet allmählich fortzuschreiten und nicht allzu brüsk die Empfindlichkeit der Staaten in ihrem Gefühl der Rechtssouveränität zu reizen. Als Krönung, um verschiedene Auslegungen des Einheitsrechts zu vermeiden, wäre letztlich an die Schaffung eines obersten europäischen Gerichtshofs für die Materien des vereinheitlichten Zivilrechts zu denken.

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