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Juristen-„Wunderteam“ erforderlich

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Die Idee eines einheitlichen europäischen Zivilgesetzbuches ist nicht neu, seine Verwirklichung erscheint jedoch höchst problematisch. Europa ist durah den „Eisernen Vorhang“ in zwei Lebensräume vor allem mit unterschiedlicher Gesellschaftsordnung geteilt, für die unter den gegebenen Verhältnissen ein einheitliches Zivilgesetzbuch fast undenkbar erscheint.

Ein kleiner Ansatzpunkt zu einer Rechtsvereinheitlichung ist nur auf dem Gebiet des Wirtschaftsrechts gegeben. Den Genfer Abkommen zur Vereinheitlichung des Wechsel-und Soheckrechts 1930/31 gehören neben mehreren westeuropäischen Staaten auch Polen, die CSSR und — nur den Wechselabkommen — auch die UdSSR an. Teilweise vereinheitlicht, ist das Verkehrsrecht durch die Berner Ubereinkommen über den/ Eisenbahnfrachtverkehr und über den Eisenbahnpersonen-und -gepäcksverkehr 1952, durch das Warschauer Abkommen zur Vereinheitlichung von Regeln über die Beförderung im internationalen Luftverkehr 1929/1955 und weitere Teilabkommen.

Erheblich schwieriger als auf dem Gebiet des Wirtschaftsrechts ist eine Anpassung oder Vereinheitlichung des Zivilrechts. Hier spielen zwischen Ost und West auch politische Doktrinen eine beachtliche Rolle, zum Beispiel die Qualifizierung des Eigentums als Privateigentum oder als „sozialistisches Eigentum“. Hinzu kommt, daß die Unterschiede zwischen den „kontinentalen“ Rechten — das sind die stark vom Römischen Recht beeinflußten Rechtsordnungen des europäischen Festlandes — und dem englischen common law sehr beachtlich sind. Die seinerzeitigen Versuche, auf dem Gebiet des Zivilrechts umfassende zwischenstaatliche Abkommen zu schaffen, scheiterten (zum Beispiel die Haager Ehe-schließungs-, Ehescheidungs- und Vormundschaftsabkommen 1902, die Haager Ehewirkungs- und Entmün-digungsabkommen 1905). Die wenigen Staaten, die ursprünglich diesen Abkommen beigetreten waren, haben diese größtenteils wieder gekündigt. Das Haager Testamentsabkommen 1961 ist in seiner textlichen Fassung umständlich und inhaltlich ein wenig wirklichkeitsfremd. Dies hat zur. Folge, daß es bisher nur von drei Staaten, nämlich Größßritän-nien, Jugoslawien und Österreich, ratifiziert würde. Europa besteht jedoch aus mehr als drei Staaten!

Man müßte vor allem aus den in Den Haag gemachten Fehlern lernen. Bei der Schaffung eines zukünftigen europäischen Zivilgesetzbuches wären zwei Arbeitsstadien erforderlich: 1. Grundlagenforschung und 2. Gesetzgebungsakt.

Ohne die erforderliche wissenschaftliche Grundlagenforschung dürfte man kaum ein derartig bedeutungsvolles Gesetzgebungswerk erfolgversprechend in Angriff nehmen können. Im Zuge einer Rechtsvergleichung wären vor allem die besonderen Vorzüge der einzelnen Zivilgesetzbücher der in Betracht kommenden Staaten zu ermitteln, um bei der Schaffung des neuen gemeinsamen Zivilgesetzbuches verwertet werden zu können. Eine Ver-gleiohung der Privatrechte ist unumgänglich, weil man die Rechte kennen muß, die man vereinheitlichen will. Bedeutende Erkenntnisse wurden in dieser Richtung in dem von Zweigert 1955 herausgegebenen Werk „Europäische Zusammenarbeit im Rechtswesen“ bereits gewonnen.

Streng zu unterscheiden von der wissenschaftlichen Grundlagenforschung wäre die legistische Tätigkeit der Gesetzgebungskörperschaft Hier gilt es zunächst, klarzustellen, welche Rechtsgebiete auf supranationaler Basis einen gesetzlichen Niederschlag finden sollen, welchen Umfang das Gesetzgebungswerk aufweisen soll und welche Rechtsfragen zweokmäßigerweise der Rechtsprechung (!) und welche der Gesetzgebung der einzelnen Staaten vorbehalten bleiben sollen. Der Gesetzgeber müßte sich vor allem darauf beschränken, nur Grundsätzliches gesetzlich zu regeln, und darnach trachten, sich nicht im Paragraphendschungel der Kasuistik zu verirren. Wohin es führt, wenn ein Wissenschaftler und kein Legist sich als Gesetzgeber versucht, zeigt das von Frankenstein 1950 erarbeitete „Europäische Gesetzbuch über internationales Privatreoht“ im Umfang von 816 Artikeln — diese Rechtsmaterie ist in unserem Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuch in 7 (!) Paragraphen geregelt. Zur textlichen Ausgestaltung des Gesetzbuches wäre ein „Wunderteam“ von Juristen erforderlich, wie es in Österreich bei der Schaffung des Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuches 1811 zur Verfügung stand!

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