6562236-1949_06_11.jpg
Digital In Arbeit

Die Bevölkerungsbewegung in Österreich nach dem Kriege

Werbung
Werbung
Werbung

Alles fließt! Dieser Ausspruch Heraklits gilt auch für die Bevölkerung eines jeden Landes, deren Größe durch Geburt und Tod, sowie durch Wanderungen einem steten Wechsel unterworfen ist. Eine genaue Er-; fassung des Bevölkerungsstandes ist daher nur durch Momentaufnahmen möglich, wie sie in größeren Zeitabschnitten durch Volkszählungen erfolgen, die gerade im Hinblick auf den stetigen Bevölkerungswechsel auf die Minute — also zum Beispiel „Mitternacht“ eines bestimmten Tages abgestellt sein müssen. Will man den Bevölkerungsstand ohne die Inansprudmahme eines so kostspieligen und in der Entwicklung seines Zählenbildes so langwierigen Apparats erfassen, so muß man versuchen, mit den Faktoren der Bevölkerungsbewegung eine Bilanz aufzustellen. Während sich die Wanderungen — angesidits der Schwierigkeiten einer lückenlosen An- und Abmeldung im jeweiligen Aufenthaltsort — in aller Regel einer genauen Erfassung entziehen, besteht heute wohl in allen Kulturstaaten eine fortlaufende Registrierung der Geburten und Sterbefälle, so daß zumindest die Bilanz der natürlichen Faktoren verhältnismäßig leicht und genau zu erstellen ist. Ihre Beobachtung ist übrigens nicht bloß vom Standpunkt der sogenannten „Fortsdireibung“ einer Bevölkerung von Interesse; handelt es sich doch um Massenersdieiriungen, die an sich für Wirtschaft und Verwaltung, für sozial- und kulturpolitische Beurteilungen von gleich großer Bedeutung sind. Freilich wird man auch hier vergeblich nach einheitlichen Wertungen Ausschau halten, da vor allem die Frage der Geburtenvermehrung, beziehungsweise des Geburtenrückganges je nach der weltanschaulichen und auch wirtschaftspolitischen Einstellung eine ganz verschiedene Beurteilung erfährt. Einheitlicher sind die Auffassungen über die Entwicklung der Sterblichkeit, deren fortgesetzter Rückgang in den letzten Jahrzehnten wohl allgemein als Fortschritt der Zivilisation gewertet wird.

Für Österreich liegen nunmehr die vorläufigen Ergebnisse der Bevölkerungsbewegung des Jahres 1948 vor, die insgesamt 119.623 Lebendgeburten, 82.195 Sterbefälle und 69.757 Eheschließungen ausweisen. Man pflegt diese Zahlen zur Bevölkerung ins Verhältnis zu setzen, um sie in ihrer Intensität von der Größe der jeweiligen Bevölkerung unabhängig zu machen. Unter der Annahme einer Bevölkerung von etwa 7 Millionen ergibt sich somit für das abgelaufene Jahr eine Geburtenziffer von 17,1 Promille, eine Sterbeziffer von 11,7 Promille und eine Heiratsziffer von 10 Promille. Aber auch diese Zahlen sagen uns noch wenig, wenn wir sie nicht im Rahmen einer zeitlichen Entwicklung oder auch eines Vergleiches mit anderen Staaten beurteilen können. Für einen zeitlichen Vergleich wird man zunächst einmal die unmittelbar vorhergehenden Jahre heranziehen, wobei es jedoch ratsam ist, das Jahr 1945, das noch allzusehr unter den unmittelbaren Auswirkungen des Krieges stand, auszuscheiden. Die Jahre 1946 bis 1948 lassen sich auf dem Gebiete der Bevölkerungsbewegung für Österreich dahin kentizeidinen, daß sie eine fortschreitende Normalisierung und Konsolidierung des Lebens aufzeigen, die insbesondere in einem stetigen Rückgang der Sterblichkeit ihren Ausdruck finden. Im Jahre 1946 war noch eine Sterbeziffer von 13,4 Promille festzustellen, die genau der Sterblichkeit des Jahres 1937, also der Vorkriegszeit, entsprach. Sie sank im Jahre 1947 auf 13 Promille, im Jahre 1948 auf 11,7 Promille. Bei den Geburten ist die „Normalisierung“ kaum einheitlich zu bewerten, da sich im Jahre 1948 gegenüber dem Vorjahr ein nicht unbedeutender Abfall an Geburten zeigt, der die Befürchtung einer allmählichen Rückkehr zu unserem traurigen Rekord des Geburtenrückganges in der Vorkriegszeit auslöst. Immerhin ist auch die letzterhobene Geburtenzahl noch immer um nahezu 40 Prozent höher als im Jahre 193 7, das nur eine Geburtenziffer von 12,8 Promille aufwies. Noch höher ist der Zuwachs bei den Eheschließungen, deren Zahl sich im abgelaufenen Jahre gegenüber dem Jahre 1937 um 50 Prozent erhöhte.

Um die österreichischen Verhältnisse auch kurz in einem internationalen Rahmen beurteilen zu können, kann man zunächst auf Grund der von der UNO regelmäßig veröffentlichten internationalen Übersichten von einem Weltdurchschnitt ausgehen, der für die letzte Zeit bei den Geburten eine Ziffer von 23,5 Promille, bei den Sterbefällen 12,5 Promille und bei den Eheschließungen 8,9 Promille ergibt. Österreich steht somit hinsichtlich der Sterbefälle und der Eheschließungen etwas besser als der Weltdurchschnitt, hinsichtlich der Geburtenhäufigkeit jedoch nicht unwesentlich schlechter. Die Staaten mit überdurchschnittlicher Geburtenhäufigkeit liegen fast ausschließlich in außereuropäischen Kontinenten; so vor allem Mexiko, Venezuela, Peru, Japan, Südafrikanische Union und im Jahre 1947 auch die Vereinigten Staaten. In Europa liegen nur die Zahlen von Bulgarien, Finn - land Holland und Portugal etwas über dem Weltdurchschnitt.

In früheren Zeiten waren Länder mit besonders hohen Geburtenzahlen im allgemeinen auch durch eine besonders hohe Sterblichkeit ausgezeichnet. Dies trifft heute keineswegs mehr regelmäßig zu, indem beispielsweise Kanada, die Vereinigten Staaten und auch Australien bei einer verhältnismäßig hohen Geburtenzahl niedrige Sterbeziffern aufweisen.

Die Heiratsziffern schwanken zwischen 3 Promille (Peru) und 16 Promille (Vereinigte Staaten). Auffallend ist die niedrige Heiratsziffer in mandien Staaten mit hoher Geburtenzahl, wie im vorerwähnten Peru und Mexiko (6 Promille).

Der örtliche und zeitliche Vergleich führen soinit zu dem Ergebnis, daß die Bevölkerungsentwicklung Österreichs dermalen nicht als ungünstig beurteilt werden kann, daß es aber neben der fortschreitenden Verbesserung der Lebensbedingungen ein Hochziel der Gesellschaftspolitik bleiben muß, Österreich mit wirtschaftlichen und geistigen Kräften vor der Gefahr eines allmählichen Volkstodes zu bewahren.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung