Der Historismus als Wiege der Moderne

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Die Entstehung des Designs in Österreich: Das Wiener MAK blickt in seine Vergangenheit zurück.

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Die Entstehung des Designs in Österreich: Das Wiener MAK blickt in seine Vergangenheit zurück.

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Heute wie damals verstehen sich Weltausstellungen als Leistungsschauen der Nationen. Bei den ersten drei Weltausstellungen, 1850 in London, 1855 in Paris und 1862 abermals in London, lieferte Österreich eine schlechte Vorstellung ab. Auf technischem Gebiet konnte die Donaumonarchie durchaus mit den anderen Großmächten mithalten, auf ästhetischem Gebiet jedoch war die Bilanz verheerend: Die dort präsentierten kunstgewerblichen Gegenstände waren - mit wenigen Ausnahmen - von mangelnder Qualität, Stilchaos und ideenlosem Kopieren vergangener Epochen geprägt; Kritiker sprachen von einer "Katastrophe der Geschmacksbildung". Wie sich aus dieser ästhetischen Krise das moderne Design in Österreich herausbildete, ist bis 17. September Thema der Ausstellung "Kunst und Industrie" im Wiener Museum für angewandte Kunst (MAK), das selbst an dieser Entwicklung maßgeblich beteiligt war.

Im Zuge der industriellen Revolution und der damit verbundenen Massenproduktion war es zum Verlust handwerklicher und ästhetischer Qualität gekommen. Der Handwerker war vom Schöpfer künstlerischer Entwürfe und individuellen Gestalter zum Ausführenden von Vorgegebenem geworden. Industriell gefertigte Waren und Güter waren in punkto ästhetischer Qualität den vorindustriellen Produkten in keinster Weise gewachsen. In ganz Europa besann man sich daher auf das Stilrepertoire der Vergangenheit oder anderer Kulturkreise, es entstand der Historismus, der von 1840 bis 1900 das Erscheinungsbild Europas prägen sollte. Die Neogotik wurde zum nationalen Stil Englands, das Neorokoko zum nationalen Stil Frankreichs.

Das konzeptlose Panoptikum der Stile, mit dem sich Österreich bei der Weltausstellung 1862 in London präsentierte, rief den Kunsthistoriker Rudolf Eitelberger von Edelberg auf den Plan: "Der Erfolg einer Ware auf dem Weltmarkt hängt von der Höhe des Geschmacks ab, welcher sich in den Kunstformen derselben zeigt". Mit diesem ökonomischen Argument konnte er den wenig kunstsinnigen Kaiser Franz Joseph von der Gründung des k.k. Österreichischen Museums für Kunst und Industrie überzeugen, dem heutigen MAK. Die akademische Kunstauffassung habe sich von den Bedürfnissen des alltäglichen Lebens entfernt, analysierte Eitelberger und er hob eine für Österreich revolutionäre Institution aus der Taufe. In der angeschlossenen Kunstgewerbeschule sollte durch das Studium alter Kunstwerke das ästhetische Empfinden geschult und dann auf das zeitgenössische kunstgewerbliche Schaffen angewandt werden.

Im Gegensatz zu heute galt Historismus im 19. Jahrhundert nicht prinzipiell als verwerflich, nur strebte man nach Neuschöpfung im alten Geist statt sklavischer Nachahmung. Die Wiener Weltausstellung 1873 wurde zwar aufgrund eines Börsenkrachs und einer Choleraepidemie ein kommerzieller Misserfolg, auf ästhetischem Gebiet war sie jedoch ein voller Erfolg: Die stilistische Hinwendung zur Renaissance, die Eitelberger stets vorangetrieben hatte, wurde im Wiener Prater eindrucksvoll zur Schau gestellt. Nun verfügte auch Österreich über einen eigenen nationalen Stil: die Neorenaissance.

In der Stilvielfalt des zu Unrecht vielgeschmähten Historismus, wie er am Museum für Kunst und Industrie entwickelt wurde, liegen die Wurzeln des modernen Stils. Erst durch die im Historismus praktizierten hohen Ansprüche an Stilreinheit, Materialgerechtigkeit und die konsequente Anwendung neuer Techniken wurde der Durchbruch der Moderne in Wien erst möglich.

Der Anteil des Museums für Kunst und Industrie an der Geburt der Wiener Moderne kann gar nicht oft genug betont werden. Noch heute ist Peter Noever, Direktor des MAK, begeistert von der Gründungsidee der Einrichtung, einem wissenschaftlichen Konzept mit einer fest umrissenen, vor allem didaktischen Aufgabenstellung. Einen Seitenhieb auf aktuelles Geschehen (Stichwort: Museumsquartier) kann sich Noever nicht verkneifen, wenn er daran erinnert, "dass vor der eigentlichen Gründung des neuen Hauses nicht nach Objekten gesucht oder gar von Objekten ausgegangen wurde - ganz im Sinne des heute wieder modischen ,Eine Sammlung sucht ein Zuhause'".

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