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Das weiße Wunder

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Das Porzellan ist einer der reizvollsten und zugleich schwierigsten Werkstoffe, das seinem Wesen nach immer schon die Formgeber aller Zeiten — wie sie sich auch nennen mochten — zur Gestaltung herausgefordert hat und dessen Schönheit in Textur und Farbe Künstler und Kenner gleichermaßen anzieht. Produktionsmäßig nimmt es eine Zwischenstellung ein, da es wohl serienmäßig hergestellt wird, aber unbedingt das handwerkliche Können besonders geschulter Fachleute benötigt. Der Autor des nachfolgenden Artikels ist seit 3939 Leiter der Staatlichen Höheren Fachschule für Porzellan im oberfränkischen Selb und einer der ersten deutschen Experten auf dem Gebiet der Keramik- und Porzellanherstellung. Direktor Lunghard hat neben seiner akademischen Ausbildung eine gründliche handwerkliche Schulung in der traditionsreichen Fabrik Fürstenberg erhalten. Auf dieser fundierten technischen Kenntnis des Werkstoffes, in Verbindung mit einem starken künstlerischen Verantwortungsbewußtsein, ist seine jahrelange Mitarbeit bei den ersten deuschen Porzellanmanufakturen (vor allem Rosenthal und Hutscheureuther) aufgebaut; dazu kommt das Verständnis für die Erfordernisse der industriellen Produktion. Seine Entwürfe wurden verschiedentlich auf Triennalen preisgekrönt und gehörten zu den wenigen von Deutschland auf der Weltausstellung in Brüssel gezeigten Porzellanexponaten. Die „Furche“ will damit einen mit allen Einzelheiten der Materie vertrauten Fachmann zu Wort kommen lassen. „Die Furche“

Im Vokabular unserer Zeit nimmt das Wort „Qualität“ einen besonderen Platz ein. Der Gedanke der Qualität ist eng mit dem Begriff der Produktion verbunden und hat wesentlichen Einfluß auf die Entwicklung des Zeitstils — wenn wir überhaupt von einem solchen sprechen wollen.

In Verfolgung der künstlerischen Quellen der heutigen Formgebung werden wir immer auf jene bildenden Künstler um die Jahrhundertwende stoßen, die sich als Architekten, Maler oder Bildhauer der Formgebung der Erzeugnisse in Handwerk und Industrie annahmen. So kommen wir einmal zum Jugendstil, der um die Jahrhundertwende entstand und dessen bahnbrechende Ausstrahlung uns die diesjährige Ausstellung im Haus der Kunst in- München — unter dem Titel „Aufbruch zur“ modernen Kunst“ -zeigt; zum anderen kommen wir zu dem vor 50 Jahren gegründeten Werkbund, dessen Ziele und Bestrebungen aus dem künstlerischen Schaffen unserer Zeit nicht mehr wegzudenken sind. Sie gehen auf die bildende Kunst, vor allem die Malerei zurück, wo die bis dahin gültige Nachbildung der Natur immer mehr zu einer Vereinfachung, zur schöpferischen Vertiefung und zum Wesentlichen vorstößt. Wurden die ersten Aeußerungen des „Jugendstils“, die Anfänge eines neuen Strebens zum Lebendigen, auch durch Nachahmungen und geschäftliche Ausnützung verwässert, hat diese Richtung doch viel zur Entwicklung der handwerklichen und industriellen Formgebung beigetragen und wurde in klareren Formulierungen vom Werkbund weiterverfolgt. Das Auf und Ab der darauffolgenden Jahre läßt uns die Leistung dieser Pioniere erst richtig einschätzen. Wir sehen in der Zeit vor dem ersten Weltkrieg die Auseinandersetzung mit dem alles beherrschenden Hange zur Repräsentation, der sich in angelernten oder nachgeahmten Stilarten äußerte, die Fortsetzung dieses Kampfes in den zwanziger Jahren und, bevor nach dem zweiten Weltkrieg eine neue Entwicklung einsetzte, nochmals ein Zurückfallen in die Scheinbegriffe der Repräsentation mit allen Auswüchsen.

Die Vorkämpfer für die gute Form sind vor allem für den Qualitätsbegriff eingetreten. Alle handwerkliche und industrielle Arbeit kennt ihn als selbstverständliche Voraussetzung. Aber gerade, in bezug auf die Formgebung hat der Begriff der Qualität in den letzten Jahrzehnten einen neuen Sinn bekommen. Bis dahin wurde unter Qualität nur die Arbeitsleistung als solche, die materialgerechte Bearbeitung des Werkstoffes verstanden: Wir sprachen von der

Qualitätsindustrie und bezogen dies auf die Leistung, die aus dem Werkstoff und der Bearbeitung entstanden war. Der. Solinger Stahl wurde als „Qualitätsstahl“ ein Begriff, das deutsche Porzellan ein „Qualitätsporzellan“ mit dem besten Scherben uhd der härtesten Glasur. Wenn wir aber heute von der Qualität der Gebrauchsgüter sprechen, meinen wir nicht nur die Funktionseigenschaften, wir meinen auch nicht die Qualität des Werkstoffes und seiner materialgerechten Verarbeitung, sondern wir verstehen darunter das Ganze eines Werkstückes.

Wir beziehen also die Formgebung ebenso in diesen Qualitätsbegriff ein wie den Werkstoff und seine Verarbeitung. (In den Bestrebungen des Werkbundes kommt dies klar zum Ausdruck, wenn in den Satzungen heute als Ziel „die Förderung der Qualität in der Gestaltung der von Menschen geschaffenen Umwelt in Zusammenwirken von Kunst, Industrie und Handwerk“ genannt ist.)

Wenn wir die Entwicklung der deutschen Porzellanindustrie in den letzten Jahrzehnten beobachten, sehen wir damit zugleich ein Beispiel für die Entwicklung der industriellen Formgebung. Die Formbarkeit der Porzellanmasse bietet zwar nicht dieselben Möglichkeiten wie der Töpferton oder der Steinzeugton, aber sie hat doch seit jeher die Künstler in ihren Bann gezogen und zur Erschaffung neuer Modelle geführt. Dadurch, daß die Porzellanmasse sich selbst nicht frei aufdrehen läßt, sondern die Verformung über das Eindrehen und Ueber-formen mittels Stahlschablonen und Gipsformen geschieht, ist von Anfang an nicht das Einzelstück im Vordergrund stehend, sondern die Massenherstellung. Das Gießverfahren, das wichtigste Arbeitsverfahren des Formens in Porzellan, benützt ebenfalls Gipsformen, wobei von einer solchen Arbeitsform aus Gips ohne weiteres 50 bis 70 gleiche Stücke hergestellt werden können. Auch hier ist also die industrielle Massenerzeugung das Wesentliche. Wenn Porzellan uns trotzdem nicht als Massenerzeugnis erscheint, so ist dies auf den Brennprozeß zurückzuführen, der bis zur höchsten Temperatur eines keramischen Werkstoffes, bis 1400 Grad Celsius, geführt wird.

Hier ist der Scherben bereits gesintert, und der Ausbrand liegt nahe am Erweichungspunkt der Masse. So ist es wohl zu verstehen, daß die Form innerhalb dieses Brennprozesses manchen Verlust erleidet und eine gewisse Veränderung durchmacht, die der Entwerfer kennen und in seine Formgebung einkalkulieren muß. Anderseits ist es aber gerade dieser Brennprozeß, der aus jedem Porzellanstück, das als Massenware hergestellt wird, ein einmaliges Erzeugnis macht, das uns mit dem durchscheinenden Scherben und der Schönheit seiner Glasur besonders anspricht. Gerade am Porzellan sehen wir, wie wichtig die Kenntnis des Werkstoffes und seiner Verarbeitungsmöglichkeiten ist. Wir müssen alle Veränderungen, die der Werkstoff während des Verarbeitungs- und Brennprozesses erfährt, immer wieder neu erproben, um zur endgültigen Form zu gelangen. Wenn wir bedenken, daß die Schwindung vom Modell bis zum fertigen Porzellanstück 16 bis 18 Prozent beträgt, daß wir außerdem nicht eine gleichmäßige Schwindung haben, sondern in Längen-, Breiten- und Höhenschwindung unterscheiden, die jede für sich verschieden ist und nicht durch Zählwerte festgelegt werden kann, so ermessen wir den langen Weg, den ein Stück von seinem Entwurf über den Arbeitsprozeß bis zur Fertigstellung durchläuft. i .Betrachten wir heute die Erzeugnisse der Porzellanindustrie, sehen wir überall das Bemühen, durch die Formgebung an den Aufgaben der Zeit mitzuarbeiten. Unser Porzellan wird nicht nur in Einzelstücken hergestellt, es ist durch die Massenfabrikation für jedermann erschwinglich und ist aus dem Haushalt nicht mehr wegzudenken, dadurch ist die Breitenwirkung der Formgebung auf diesem Gebiet, erreicht.

Bei der Erfindung des Porzellans vor 250 Jahren durch Böttger in Meißen nannte man es das „Weiße Wunder.“., Wir,dürfen behaupten, daß es diese Bezeichnung aucii heute immer noch verdient. Porzellan ist durch die Qualität seines Werkstoffes und durch die verantwortliche Mitarbeit des Entwerfers in der ganzen Welt zum Begriff der guten Form geworden.

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