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Formgebung in der modernen Wirtschaft

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Hat die industrielle Formgebung über den technischen, den physiologischen, den ästhetischen und — nicht zuletzt — den kalkulatorischen Aspekt hinaus auch noch einen volkswirtschaftlichen? Können Form, Finish, Verpackung der Waren für den Gesamtablauf des Wirtschaftsgeschehens irgendwelche Bedeutung erlangen?

Wir wollen versuchen, diese an Gewicht gewinnende Frage an Hand einiger einfacher Ueberlegungen zu durchdenken. Vorausgeschickt sei aber, daß die industrielle Formgebung den Nationalökonomen einen Januskopf zeigt: Einerseits ist nämlich die Wahl einer spezifischen Form und insbesondere einer typischen Verpackung ein kennzeichnendes Attribut des Markenartikels; der Markenartikel aber stellt, volkswirtschaftlich gesehen, den — meist erfolgreichen — Versuch dar, unter mehreren ähnlichen und gleichwertigen Erzeugnissen einem bestimmten Fabrikat eine „Verbraucherpräferenz“ zu verschaffen, in deren Grenzen eine monopolähnliche Preispolitik möglich ist. Aus diesem Aspekt betrachtet, kann also auch die industrielle Formgebung in den Dienst des Strebens nach Marktmacht gestellt werden, und jegliche Marktmacht läßt sich zumindest potentiell auch mißbrauchen.

Es hieße aber allzu statisch denken, wollte man nur dieses Gesicht des Januskopfes sehen. Weit entscheidender ist nämlich — heute schon und künftighin gewiß in noch steigendem Ausmaß — die Rolle, die die industrielle Formgebung in der dynamischen Expansion der Wirtschaft zu spielen hat. Gerade in unserem Jahrhundert spielt sich. in allen entwickelten Volkswirtschaften eine Akzentverlagerung von historischer Bedeutung ab: die Akzentverlagerung von der Bedürfnisdeckung zur Bedürfnisweckung. Es ist dies eine notwendige Begleiterscheinung der Großserien- und Massenproduktion, die kapitalintensiv und daher mit hohen fixen Kosten belastet ist. Diese Produktion — man denke insbesondere an ihr modernstes Extrem, die vielzitierte Automation — paßt sich starken Differenzierungen der Nachfrage ebenso schwer an wie zeitlichen Schwankungen dieser Nachfrage. Die Ausnützung der Kostenvorteile, die die zeitgemäße Produktionstechnik bietet, setzt daher einerseits eine weitgehende Typenbereinigung und -Standardisierung und anderseits die Schaffung eines möglichst kontinuierlichen Nachfrage..bandes" voraus.

Beiden Bestrebungen kommt die industrielle Formgebung im weitesten Sinn des Wortes — entgegen, verhindert sie doch einerseits, daß die auf die Dauer unvermeidliche Typenzusammenlegung und -Standardisierung zu einer auch absatzhemmenden Eintönigkeit wird, während die industrielle Formgebung auf der anderen Seite durch neue Kaufimpulse das Nachfrageband „streckt". Dazu einige Worte der Erläuterung:

Nicht nur in den Vereinigten Staaten, auch schon in Europa beruht ein zunehmender Teil der Erzeugung auf der Deckung eines im Grunde fiktiven Ersatzbedarfes: das Gut, das durch die Neuanschaffung ersetzt wird, ist technisch noch keineswegs unbrauchbar geworden. Das gilt vor allem für den weiten Bereich der Mode, und es ist kein Zufall, daß immer weitere Bereiche in den modischen Wechsel einbezogen werden: es gibt kein einziges wirklich zeitloses Stück der Damen- oder auch der Herrengarderobe mehr, aber auch Möbel können bereits unmodern werden, und wenn es „zum guten Ton gehört", spätestens alle zwei Jahre ein neues Automodell zu erstehen, dann läßt sich das mit den technischen Verbesserungen allein nicht erklären.

Praktisch bedeutet das: Auch'industrielle Erzeugnisse beginnen einem Modewechsel zu unterliegen. genauer: sie werden einem Modewechsel unterworfen, damit die Dauer der Bedürfnisbefriedigung, die mit ihrem Besitz verbunden ist, möglichst kurz — und jedenfalls viel kürzer als ihre technische Lebensdauer — bemessen ist, denn auf diese Weise entsteht ein kontinuierlicher Nachfragestrom. Diese „Verschleißwirt-schäft“ widerspricht so sehr dem Prinzip des Haushaltens, des Wirtschaftens mit knappen Mitteln, das uns von Kind auf anerzogen wurde, daß wir uns damit innerlich schwer anfreunden können; aber diese „Verschleißwirtschaft“ ist nun eben die unausweichliche Folge der modernen Massenproduktion und die unabdingbare Voraussetzung der damit verbundenen Steigerung des Lebensstandards.

Allerdings besteht — trotz desselben Ver- kaufseffektes — ein großer Unterschied zwischen dem nur äußerliche „Auffrisieren“ eines Produktes und einer Neugestaltung nach den Grundsätzen der Funktions- und Materialtreue. Das Wesen des Modischen ist der Formwechsel. Die Aufgabe der wissenschaftlich betriebenen industriellen Formgebung aber liegt darin, durch die Zusammenarbeit des Technikers mit dem Kaufmann und dem Werbefachmann darüber zu wachen, daß die notwendigen Nachfrageimpulse nicht durch einen modischverspielten Formwechsel um jeden Preis, sondern durch sinnvolle, weil dem Benützer dienende Formänderung geschaffen werden.

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