6744174-1966_52_29.jpg
Digital In Arbeit

Das Automobil

Werbung
Werbung
Werbung

Die Tätigkeit solcher Modezeichner besteht also darin, funktionelle Formen abzuändem und sie, wenn das nicht möglich ist, zu verkleiden oder zu dekorieren. Das typischste Beispiel ist das populärste technische Produkt unserer Zeit, das Automobil, dessen Form heute ihren Einfluß auf alles Menschenwerk ausübt.“

Wir alle kennen diese Hetzjagd der neuen Formen mit denen, welche wir wegwerfen, und können sie fast stündlich beobachten. Jene künstlich veranstaltete, fingierte Jagd, welche durch Verminderung der Haltbarkeit zum Zwecke neuerlichen Absatzes den Verschleiß fördert.

Wir leben in einer „Wegwerf- kultur“. Und wird diese Tatsache von vielen begrüßt als etwas, das uns freier und ungebundener macht von den Dingen, vom „Ballast“ des Materiellen, so müssen wir doch konstatieren, daß dieses Phänomen — und ein solches ist es — zum erstenmal in unserer Zeit auftritt. Nie zuvor in der Menschheitsgeschichte dachte man daran, die Lebensdauer eines Produktes absichtlich zu verkürzen. Kein Erzeuger, vor allem kein Handwerker konnte so denken.

Hängt dies wirklich mit dem Auftreten der Maschine zusammen? Mit dem Prinzip der Industrialisierung, das identisch ist mit dem Begriff der Massenproduktion?

Der „Erfinder“ des Fließbandes

Hören wir einen Kronzeugen aus diesem Lager selbst an: Henry Ford, den Verfechter des Dienstleistungsgedankens, den „Erfinder“ des Fließbandes. Ford war es gelungen, in zehn Jahren die jährliche Produktion von 18.000 Automobilen im Jahre 1910 auf 1,25 Millionen Wagen im Jahre 1920 zu steigern und gleichzeitig den Verkaufspreis yon 950 Dollar auf 355 Dollar zu senken. Die bis dahin im Geschäftsleben nie gekannte Verbilligung seiner Waren ging einher mit einer ständigen Erhöhung der Löhne seiner Arbeiter und Angestellten. Ford sagt:

„Es ist mein ganzer Ehrgeiz, jeden Maschinenteil, jeden Dauerartikel,

den ich herausbringe, so stark und gut zu arbeiten, daß niemand ihn von Rechts wegen zu ersetzen braucht. Jede gute Maschine müßte eigentlich so dauerhaft sein wie eine gute Uhr.“

Und: „Mein ganzes Streben war damals und ist auch heute noch darauf gerichtet, einen einzigen Wagen — ein Universalmodell — herauszu bringen. Jahraus, jahrein war mein Bemühen, bei ständigem Preisabbau diesen Wagen zu verbessern, zu verfeinern und zu vervollkommnen... Während sich die meisten Fabrikanten eher zu einer Änderung des Produktes als ihrer Produktionsmethoden entschließen, verfolgen wir den gerade entgegengesetzten Weg. An unseren Produktionsmethoden haben wir die größten Änderungen vorgenommen. Diese stehen niemals still. Hätten wir unsere gesamte Energie auf Änderungen des Produktes verwandt, wir wären nicht viel weiter gekommen; da wir aber keinerlei Änderungen des Produktes kannten, konnten wir unsere ganze Kraft auf eine Vervollkommnung der Herstellung konzentrieren.“

Keine Rede also vom Wegwerfen. Nichts von Änderung. Und schon gar nichts von Formänderung. „Der Wagen sah so gut aus, wie wir ihn zu machen verstanden.“

Wenn wir Wieder zu Loos zurückkehren, können wie eine Übereinstimmung feststellen, denn auch Loos war gegen jede Änderung, wenn sie nicht eine Verbesserung bedeutet.

„Geändert muß werden, ,verschönern‘ nennt man das! Aber schon nach fahren sehen wir, daß diese vermeintlichen Verschönerungen keine Verbesserungen waren.“

„Veränderungen an der form sollen nicht der neuerungssucht, sondern dem wünsche entspringen, das gute noch zu vervollkommnen.“ — „Nicht den neuen sessel gilt es unserer zeit zu geben, sondern den besten.“

„Wir arbeiten so gut wir können, ohne auch nur eine sekunde über die form nachzudenken. Die beste form ist immer schon bereit und niemand fürchte sich, sie anzuwenden, wenn sie auch in ihrem gründe von einem andern herrührt. Genug der originalgenies!“

Und wenn für Loos reine Form- erflndung gleichbedeutend mit Vergeudung an i Zeit, Arbeitskraft und Material ist und diese Abscheu vor Verschwendung auch wahrscheinlicher Ausgangspunkt der Polemik gegen das Ornament war (worauf ich noch zurückkommen möchte), so ist für Ford Verschwendung im weitesten Sinne Ursache der Armut, Ursache der Disharmonie zwischen Produktion und Verteilung.

Verschwendung ist Mißbrauch

„Das Heilmittel gegen die Armut", sagt Ford, „liegt nicht in kleinlichem Sparen. Das Wort ,Sparsamkeit' ist ein Ausdruck der Furcht. Zweifellos ist Sparsamkeit besser als Verschwendung, aber ebenso sicher ist sie weniger wert als der nutzbringende Verbrauch.

Alle Verschwendung ist Mißbrauch; jeder Mißbrauch ist Verschwendung.“

Was hat das alles mit Problemen der Form zu tun? Mit dem Problem der „Formgebung“?

Weil die fingierte Abwechslung,

die künstlich betriebene Veralterung der Dinge, die uns umgeben, der Gegenstände des täglichen Gebrauchs durch Formmasken Vergeudung ist. Anstatt die Lebensdauer des Produktes zu verlängern und die Kosten für die Verbraucher zu senken, werden die Kosten erhöht, indem die Lebensdauer verkürzt wird. Teurer, schlechter, weniger.

Zeigte das Beispiel Ford, daß es gerade nicht — wie meist voreilig konstatiert wird — eine notwendige Folge maschineller Produktion ist, wenn immer neue (besser: scheinbar neue) Dinge auf den Markt geworfen werden, so könnte man einwenden, daß die Produktion laufend neuen Absatz erzwingt, um nicht in Überproduktion totzulaufen.

„Vielleicht kommt es zu einer Überproduktion“, sagt Ford, „aber das ist erst dann möglich, wenn die ganze Welt alles hat, was sie wünscht. Sollte dieser Fall ein- treten, so hätten wir sicherlich allen Grund, zufrieden zu sein.“

Hat die ganze Welt alles, was sie wünscht? Es fällt mir schwer, an „Wiener Form“ zu denken.

„Gerade in einer Zeit, da sich auf so. vielen Gebieten unseres Lebens eine gewisse Uniformierung bemerkbar macht, hat die eigenständige Form unendlich viel Chancen“, heißt es im Begleittext zur Ausstellung;' und weiter: „Wien wäre prädestiniert dazu, mit allen seinen schöpferischen Kräften einen neuen, originellen Stil zu finden...“

Dagegen Lewis Mumford:

„Nichts ist verhängnisvoller für eine gute, aus der Maschine hervorgegangene Form als unsachliche Subjektivität, unangebrachtes Schöpfertum und scheinbare Originalität, wie wenn es sich um Handarbeit handelte. Sobald man solche verdächtigen Züge an irgendeiner technischen Form feststellt — man denke nur an die fortwährenden Anpassungen an die Mode bei den weniger wesentlichen Teilen des Autos —, weiß man, daß Angeberei und Verschwendung, die dem Neureichen liegen, stärker waren als die Forderungen der Sparsamkeit und der Zweckmäßigkeit, und daß unter dem Vorwand, Kunst zu liefern, Geld aus der Tasche gezogen wird, das wir besser auf andere Dinge verwenden würden. Die geläufige Bezeichnung für diese Perversion besonderer Art ist industrielle Formgebung.“ — „Bel der Sicherheitsnadel sind keine wesentlichen Verbesserungen seit der Bronzezeit vorgenommen worden.“ Und das Fahrrad, besser der Fahrradrahmen, beweist — nach Wachsmann —, „daß es so etwas gibt wie die anonyme, die permanent vollkommene Form“.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung